Warum ich Katholik bin
[Hinweis, über ein Jahr später: Dieser Text entstand wenige Wochen vor dem Rückzug von Joseph Ratzinger; Papst bezieht sich hier also noch auf Papst Benedikt XVI. Mit Franziskus haben sich einige Dinge und auch meine Haltung zum Papst inzwischen zum Positiveren geändert.]
In den vergangenen Wochen kam in meiner Ecke des Internets an verschiedenen Stellen die Frage auf, ob und woran man glaubt. Und unvermeidlich auch die Frage, wie man heute noch Katholik sein könne. Teilweise mit der Stimme eines Anklägers, sich vor dem Gericht zu rechtfertigen (was meine Lust zu antworten verständlicherweise etwas getrübt hat), teilweise wurde ich aber auch persönlich gefragt, aus ehrlichem Interesse.
Es haben in den letzten Wochen einige über das Thema gebloggt, zum Einen über ihren eigenen Glauben oder Nicht-Glauben, zum Anderen über ihre Haltung zur katholischen Kirche im Besonderen (siehe Links am Ende). Ich hatte gehofft, mich um eine Antwort drücken zu können, aber es gibt zwei Aspekte, die ich in den Beiträgen bislang vermisst habe, die aber – zumindest für mich – den Kern von Glauben und Kirchenzugehörigkeit ausmachen.
Ich versuche mal, das auf den Punkt zu bringen. Sorry, das wird länger – kein Thema für 140 Zeichen. Auch wenn ich schon gefühlt 50 Themen ausgelassen habe, die man mit Katholiken gemeinhin gerne diskutiert.
Der Kern
Ich glaube an Gott. Ich glaube, dass jemand / etwas / ein Wesen existiert, das weit über den einzelnen Menschen hinausgeht. Ich glaube daran, dass in jedem Lebewesen, ganz besonders in jedem Menschen, Spuren dieses göttlichen Wesens zu finden sind. Und ich glaube, dass dieser Gott* uns gegenüber wohlwollend und liebevoll ist.
Und im letzten Satz steckt im Ansatz schon das, was ich in der bisherigen Debatte vermisst habe: Es geht nicht allein um eine Vorstellung, wie Dinge in dieser Welt zusammenhängen, ein Erklärungsmodell, ein Gedankenkonstrukt. Es geht um eine Beziehung. Dieser Gott ist lebendig. Ich kann mit ihm persönlich kommunizieren. Ich kann mich an ihn wenden, und manchmal glaube ich auch, seine Antworten lesen zu können, in meinem Inneren, in dem, was mir widerfährt oder in anderen Menschen.
Darüber hinaus glaube ich, dass dieser Gott als Jesus Christus auf die Welt gekommen ist, unter den Menschen gelebt hat und den Tod überwunden hat. Das ist der spezifisch christliche Anteil, die Konfession, in die ich hineingewachsen bin. Wäre ich in einer anderen Gegend der Welt oder einem anderen Milieu aufgewachsen, wäre ich womöglich Muslim oder Buddhist geworden. Das heißt einerseits, ich kann wohl kaum mein Bekenntnis einfach über andere Bekenntnisse stellen. Das heißt aber andererseits auch nicht, dass mein Glaube beliebig oder austauschbar wäre. Wenn ich die Evangelien lese, wenn ich den Kern der christlichen Botschaft höre und versuche, das mit meinem Inneren und dem überein zu bringen, was ich selbst um mich herum wahrnehme, dann fügen sich Botschaft und meine sehr persönliche Empfindung zusammen, alles ergibt Sinn.
Dieses Wissen und Spüren der Gegenwart eines Gottes, der mir und anderen Menschen Gutes will und uns begleitet, wenn wir in Schwierigkeiten sind und leiden, das trägt mich und gibt mir Kraft.
Dieser Glauben ist mir im Übrigen nicht nur in den Schoß gefallen, ich habe mich bewusst dafür entschieden, nachdem für mich jahrelang alles komplett infrage stand.
Der Gottesdienst
Der zweite, wichtige Aspekt, der mir bislang zu kurz kam. ist der regelmäßige Gottesdienst. Es mag womöglich Menschen geben, für die das nicht gilt, aber mein Glaube braucht regelmäßige Auffrischung. Infragestellen. Anregung, nicht stehen zu bleiben, sondern mich weiterzuentwickeln. Wenn ich nicht im Tümpel meiner Egoismen versumpfen soll, brauche ich regelmäßig den Kontakt zu einer frischen Quelle. Gottesdienst bedeutet, mit anderen, die die gleichen Fragen ans Leben haben zusammenzukommen, um Gott zu loben, sein Wort zu hören, dargelegt zu bekommen, zu meditieren, singen, für andere zu beten. Und so sehr ich mich auch immer freue, wenn vorne auch ein Priester steht, der mit beiden Beinen fest im Leben steht und toll predigen kann, das ist nur ein Aspekt eines Gottesdienstes. An manchen Tagen ist es ein Lied oder eine einzige Gebetszeile, die etwas in mir bewegen, wofür es sich schon gelohnt hat, hinzugehen.
Seit dem Umzug vor einem Jahr habe ich es leider noch nicht geschafft, in der neuen Gemeinde wieder zu einer Regelmäßigkeit im Gottesdienstbesuch zu finden. Und ich spüre, wie sehr mir das fehlt. So sehr, dass ich als Maßnahme gegen meine Bequemlichkeit überlege, mich so wie früher in verschiedenen Gemeinden, in denen ich gelebt habe, auch hier wieder aktiv bei meinem Steckenpferd Gottesdienstgestaltung einzubringen, ob als Kantor, Lektor oder sonstwie.
Ich persönlich könnte mir ehrlicherweise noch einen Glauben ohne viel Gemeindeleben vorstellen, auch wenn dadurch vieles verloren ginge. Aber ohne Gottesdienst geht es definitiv überhaupt nicht.
Aber der Papst. Und der Meisner.
Ja, der Papst. Oft rege ich mich über ihn auf. Vermutlich im Mittel sogar leidenschaftlicher als jemand, dem die katholische Kirche schnurz ist. Und auch wenn er das Oberhaupt des Ganzen ist, hat er doch erst einmal ungefähr die Auswirkung auf mein religiöses Leben wie Angela Merkel auf das Leben eines durchschnittlichen Deutschen, nämlich praktisch keine.
Maßgeblicher ist da schon, wer dein Bischof ist, welches Menschenbild er vertritt und wie er mit den Priestern und Gläubigen in seinem Verantwortungsbereich umgeht. Hier gibt es konservative Hardliner wie beispielsweise in Köln, aber auch vernünftige, gute Bischöfe wie Ludwick Schick, in dessen Diözese ich lebe. Auch die Vorsitzenden der deutschen Bischofskonferenz, wie viele Jahre lang Karl Lehmann oder nun Robert Zollitsch, erscheinen mir als gute Leute, denen Barmherzigkeit und Vertrauen in die Menschen näher zu sein scheinen als Verurteilung, Misstrauen und die Erwartung bedingungslosem Gehorsams. Es ist, wie es immer ist: Von den Guten, Vernünftigen sieht und hört man wenig, auch wenn sie die Mehrheit sind. Wen man aber immer sieht, sind Typen wie Mixa, Meisner oder Müller, die arrogant ihre Menschenfeindlichkeit und Gestrigkeit behaupten.
Ja, ich schäme mich für die unsägliche Art, wie die deutsche Bischofskonferenz die Aufarbeitung des jahrzehntelang systematisch vertuschten Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen durch katholische Geistliche unlängst ohne Not diskreditiert hat und damit den Opfern gegenüber wieder einmal demonstriert, dass ihre Lebens- und Leidensgeschichte zweitrangig sind. Selbst wenn die Zusammenarbeit mit dem Pfeiffer-Institut tatsächlich problematisch gewesen sein sollte, was ich jetzt nicht ganz ausschließen möchte, warum konnte man nicht um eben dieses ungleich größeren, wichtigeren Ziels wegen in den sauren Apfel beißen? Alles nur, weil ein paar Bischöfen ihre Mitbestimmung über Art und Weise der Aufarbeitung nicht gereicht hat. Eine Schande.
Und über das jetzt bekannt gewordene Verhalten verschiedener Krankenhäuser in Köln und Regensburg, mutmaßliche Opfer von Vergewaltigungen pauschal wegen der theoretischen Möglichkeit abzuweisen, ihnen womöglich ein Verhütungsmittel verschreiben zu müssen, brauchen wir nicht zu reden. Übrigens ist auch das kein Konsens unter den Bischöfen; unser Bamberger Bischof hat diese Praxis öffentlich kritisiert. (Daneben bin ich durchaus der Meinung, dass der Staat hier das Recht wahrnehmen sollte, auch konfessionellen Krankenhäusern Vorschriften zu machen, wenn diese für die öffentliche Versorgung staatliche Gelder in Anspruch nehmen.)
Aber nochmal, wie kannst du bei solchen Oberen in der Kirche bleiben?
So wenig ich das Verhalten und die Aussagen sogar mancher Kirchenoberen oder auch bestimmter Gruppen in der Kirche für vereinbar mit dem christlichen und katholischen Glauben halte, so wenig heißt mein Verbleiben in der Kirche, dass ich diese Ansichten selbst vertreten würde. So wie ich nicht die deutsche Staatsbürgerschaft ablege, nur weil ich die Regierung ablehne, um den hinkenden Vergleich von vorhin nochmal zu bemühen.
(Das ist übrigens ein Standardmuster von Katholikenhassern, sich erst über die angebliche Obrigkeitshörigkeit von Gläubigen zu mokieren, aber wenn man ihnen klarmacht, dass man selbst und ein großer Teil der Kirche bestimmte Lehrmeinungen wesentlich differenzierter sehen, vorzuwerfen, man sei ja gar kein richtiger Katholik.)
Die Erzkonservativen in der katholischen Kirche sind nicht die Mehrheit. Nicht in Deutschland und vermutlich auch nicht in vielen anderen Gegenden der Erde. Der Vatikan mag strotzen vor konservativen, uralten Männern, die sich nach alten Zeiten und altem Einfluss auf ihre "Herde" zurücksehnen. Aber sind sie repräsentativ für 1.181.000.000 Katholiken auf der Welt? Nein. Sie repräsentieren ja nicht einmal die Frauen.
(Und auch, wenn ich selbst gerne mal scherzhaft von "Katholiban" oder "Pietcong" spreche, im ernst gemeinten Diskurs möge man selbst konservative Christen bitte nicht immer mit Taliban gleichsetzen, einer fundamentalreligiösen Miliz, die den regionalen Drogen-, Waffen- und Menschelhandel kontrolliert und jährlich tausende Menschen tötet, sei es nur, weil sie Kinder impfen oder sich dafür einsetzen, dass Mädchen zur Schule gehen können. Wäre ganz angenehm für die Diskussionskultur. Danke.)
Was den Ausschlag gibt, sind die Gemeinden vor Ort. Und hier gab es noch keine, in der ich mich nicht hätte zuhause fühlen können. Okay, bis auf die letzte in Erlangen, aber das war ein dörflich geprägter Ortsteil, deren Bewohner sich offensichtlich in ihren nach außen hin abweisenden Traditionen eingemauert haben. Dagegen hatte auch ein Pfundskerl von einem alten, westfälischen Pfarrer nichts ausrichten können.
Vor Ort kann man evangelische Geschäftsführer bei katholischen Sozialträgern finden, oder auch bekanntermaßen Homosexuelle in leitender Position, da gibt es Pfarrer, die wiederverheiratete Geschiedene ausdrücklich willkommen heißen, da gibt es Frauen, die die Predigt halten und Pfarrer, die öffentlich den Bischof kritisieren, wie unfair er mit einem jungen Kollegen umgegangen ist, dessen Beziehung mit einer Frau öffentlich geworden war, und vieles mehr, wovon man wenig mitbekommt, wenn man außen steht und im Wesentlichen nur über überregionale Medien mit Informationen aus der katholischen Kirche versorgt wird.
Was Menschen in aller Welt teilweise unter Einsatz ihres Lebens aus ihrem Glauben heraus gegen Armut, mangelnde Bildung, Krankheit, Verfolgung und für Versöhnung leisten nicht zu vergessen.
Und was ist mit deinem Geld, den Kirchensteuern?
Während ich durchaus kritisch sehe, ob ein Staat überhaupt für eine Religionsgemeinschaft Steuern eintreiben sollte – ich könnte mir auch vorstellen, einen "Mitgliedsbeitrag" abhängig von meinem Einkommen zu zahlen, ähnlich einer Gewerkschaft - ist das erst einmal derzeit Stand der Dinge. Der Rückgang der Kirchenmitglieder und Steuereinnahmen ist unaufhörlich und dramatisch. Großstädte, die früher dutzende eigenständige Gemeinden samt Pfarrern hatten, werden zu einzelnen Pfarramtsbezirken mit einem Haupt- und zwei, drei Nebenpfarrern zusammengelegt. Die Gottesdienste werden immer weiter ausgedünnt und Menschen müssen immer weiter laufen oder fahren, um daran teilnehmen zu können, auf dem Land teilweise viele Kilometer.
Das mag in Bayern noch nicht ganz die Brisanz wie beispielsweise in NRW erreicht haben, die Entwicklung geht aber in die gleiche Richtung. Und die Finanzausstattung der Dekanate und Pfarreien ist von allen Ausgaben der Kirche vermutlich am Direktesten an die Zahl der Kirchenzugehörigen gekoppelt. Ich möchte aber nicht jedesmal nach Nürnberg fahren müssen, um in die Kirche zu gehen. Ich möchte, dass es eine Pfarrei in der Nähe gibt, wo Kinder, Jugendliche, Familien und Senioren zusammenkommen können. Wo ein Organist bezahlt werden kann, der die Messe begleitet. Wo im Winter geheizt ist. Und so weiter.
Krankenhäuser, Kindergärten, Pflegestationen und andere Einrichtungen kirchlicher Träger werden zu großen Teilen aus allgemeinen Steuern bezahlt, und ihre Zukunft hängt vermutlich weit mehr von allgemeinen gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen ab als von meinen Kirchensteuern. Aber es gibt auch andere Leistungen kirchlicher Träger, die nicht immer vom Staat mitfinanziert werden wie z. B. die Straffälligenhilfe.
Abgesehen davon beteilige ich mich nicht an Überlegungen, ob man kirchliche Träger nicht gleich ganz abschaffen sollte. Hunderttausende alleine in Deutschland, fest Angestellte plus Ehrenamtliche, leisten bei kirchlichen Trägern großartige Arbeit in allen möglichen sozialen Bereichen, aus innerer Überzeugung und geleitet von einem christlichen Menschenbild. Meist leise und ohne großes Gewese. Ich behaupte in keinster Weise, dass Nichtgläubige nicht ebenso engagiert und menschenfreundlich soziale Arbeit leisten. Aber was gut daran sein soll, existierende Strukturen und Engagement zu zerschlagen, nur weil es einzelne Punkte der Reibung gibt, konnte mir noch niemand erklären.
Und evangelisch werden?
Ich bin katholisch getauft, aufgewachsen und war immer in irgendeiner Form an katholische Gemeinden gebunden. Ich habe keine Berührungsängste zu Protestanten oder ihren Gottesdiensten (die im Großen und Ganzen, in Ablauf, Texten und Liedern sehr ähnlich bis gleich sind) und ich sehne mich danach, dass die christlichen Kirchen eines Tages wieder eine Glaubensgemeinschaft werden, auch wenn wir das nicht mehr erleben werden. Ich bin auch schon oft nach Taizé gefahren und habe die Ökumene dort genossen. Gerade bei einigen sehr "katholischen" Themen wie Marienbild oder Zölibat stehe ich vermutlich sogar vielen Protestanten näher als vielen Katholiken.
Und dennoch bin ich in der katholischen Kirche zuhause. Ich kenne mich kaum aus, was die Vielfalt der protestantischen Kirchen angeht (vermutlich stünden mir da die Lutheraner noch am nächsten). Dafür liebe ich die Globalität der katholischen Kirche. Egal ob in Duisburg, Fürth, Turin oder, sagen wir mal, Phat Diem, Vietnam, ich kann überall in die Kirche gehen und bin automatisch Teil der Gemeinde und gewissermaßen glaubensmäßig zuhause. Ich finde das großartig.
Dass die katholische Kirche meist stärkere Bilder und Rituale hat, die die Glaubensinhalte sicht- und fühlbar machen sollen, kommt meinem Wesen auch entgegen. Aber auch wenn ich mich in einer protestantischen Gemeinde vermutlich vom Glauben her einigermaßen wiederfinden könnte, frage ich mich: Warum sollte ich wechseln? Nur wegen der katholischen Amtskirche? Womit dann auch noch meine Stimme in der katholischen Kirche wegfällt? Nein, dazu habe ich weder genügend Contra-Katholizismus- noch Pro-Protestantismus-Argumente. Und ich mache mir auch keine Illusionen: auch unter Protestanten gibt es Erzkonservative.
Wer jetzt noch mehr lesen möchte, hier entlang:
Journelle: Nicht glauben können Sehr persönlich und differenziert, mit Erfahrungen aus dem christlich-konservativen Amerika.
Patschbella: Vaticinium ex eventu Eine Einordnung dessen, was die katholische Kirche bedeutet und tut, unter besonderer Berücksichtigung der bayerischen Provinz. Sehr lesenswert (und auch deutlich lockerer zu lesen als mein bierernstes Geschreibsel).
Antje Schrupp: Kleiner Versuch, den Atheismus zu verstehen Ein paar grundlegende Fragen an Atheisten, mit sehr vielen Antworten in den Kommentaren
Littlejamie: Die Gretchenrage Warum sie Religion ablehnt und warum ihr dabei nichts fehlt.
Das Nuf: Warum ich gerne auf die katholische Kirche verzichten würde legt dar, warum sie nicht findet, dass die Kirche öffentliche soziale Aufgaben wahrnehmen sollte.
Nachtrag 2. März: Jazzer: Wir sind nicht mehr Papst – ich war es nie über seine Gründe, aus der katholischen Kirche aus- und in die evangelische einzutreten.
*: Dass ich Gott hier durchweg grammatisch männlich verwende, ist gewissermaßen sprachliche Gewohnheit und bedeutet nicht, dass Gott nach meiner Vorstellung überhaupt ein differenziertes Geschlecht wie die meisten Menschen haben muss.
In den vergangenen Wochen kam in meiner Ecke des Internets an verschiedenen Stellen die Frage auf, ob und woran man glaubt. Und unvermeidlich auch die Frage, wie man heute noch Katholik sein könne. Teilweise mit der Stimme eines Anklägers, sich vor dem Gericht zu rechtfertigen (was meine Lust zu antworten verständlicherweise etwas getrübt hat), teilweise wurde ich aber auch persönlich gefragt, aus ehrlichem Interesse.
Es haben in den letzten Wochen einige über das Thema gebloggt, zum Einen über ihren eigenen Glauben oder Nicht-Glauben, zum Anderen über ihre Haltung zur katholischen Kirche im Besonderen (siehe Links am Ende). Ich hatte gehofft, mich um eine Antwort drücken zu können, aber es gibt zwei Aspekte, die ich in den Beiträgen bislang vermisst habe, die aber – zumindest für mich – den Kern von Glauben und Kirchenzugehörigkeit ausmachen.
Ich versuche mal, das auf den Punkt zu bringen. Sorry, das wird länger – kein Thema für 140 Zeichen. Auch wenn ich schon gefühlt 50 Themen ausgelassen habe, die man mit Katholiken gemeinhin gerne diskutiert.
Der Kern
Ich glaube an Gott. Ich glaube, dass jemand / etwas / ein Wesen existiert, das weit über den einzelnen Menschen hinausgeht. Ich glaube daran, dass in jedem Lebewesen, ganz besonders in jedem Menschen, Spuren dieses göttlichen Wesens zu finden sind. Und ich glaube, dass dieser Gott* uns gegenüber wohlwollend und liebevoll ist.
Und im letzten Satz steckt im Ansatz schon das, was ich in der bisherigen Debatte vermisst habe: Es geht nicht allein um eine Vorstellung, wie Dinge in dieser Welt zusammenhängen, ein Erklärungsmodell, ein Gedankenkonstrukt. Es geht um eine Beziehung. Dieser Gott ist lebendig. Ich kann mit ihm persönlich kommunizieren. Ich kann mich an ihn wenden, und manchmal glaube ich auch, seine Antworten lesen zu können, in meinem Inneren, in dem, was mir widerfährt oder in anderen Menschen.
Darüber hinaus glaube ich, dass dieser Gott als Jesus Christus auf die Welt gekommen ist, unter den Menschen gelebt hat und den Tod überwunden hat. Das ist der spezifisch christliche Anteil, die Konfession, in die ich hineingewachsen bin. Wäre ich in einer anderen Gegend der Welt oder einem anderen Milieu aufgewachsen, wäre ich womöglich Muslim oder Buddhist geworden. Das heißt einerseits, ich kann wohl kaum mein Bekenntnis einfach über andere Bekenntnisse stellen. Das heißt aber andererseits auch nicht, dass mein Glaube beliebig oder austauschbar wäre. Wenn ich die Evangelien lese, wenn ich den Kern der christlichen Botschaft höre und versuche, das mit meinem Inneren und dem überein zu bringen, was ich selbst um mich herum wahrnehme, dann fügen sich Botschaft und meine sehr persönliche Empfindung zusammen, alles ergibt Sinn.
Dieses Wissen und Spüren der Gegenwart eines Gottes, der mir und anderen Menschen Gutes will und uns begleitet, wenn wir in Schwierigkeiten sind und leiden, das trägt mich und gibt mir Kraft.
Dieser Glauben ist mir im Übrigen nicht nur in den Schoß gefallen, ich habe mich bewusst dafür entschieden, nachdem für mich jahrelang alles komplett infrage stand.
Der Gottesdienst
Der zweite, wichtige Aspekt, der mir bislang zu kurz kam. ist der regelmäßige Gottesdienst. Es mag womöglich Menschen geben, für die das nicht gilt, aber mein Glaube braucht regelmäßige Auffrischung. Infragestellen. Anregung, nicht stehen zu bleiben, sondern mich weiterzuentwickeln. Wenn ich nicht im Tümpel meiner Egoismen versumpfen soll, brauche ich regelmäßig den Kontakt zu einer frischen Quelle. Gottesdienst bedeutet, mit anderen, die die gleichen Fragen ans Leben haben zusammenzukommen, um Gott zu loben, sein Wort zu hören, dargelegt zu bekommen, zu meditieren, singen, für andere zu beten. Und so sehr ich mich auch immer freue, wenn vorne auch ein Priester steht, der mit beiden Beinen fest im Leben steht und toll predigen kann, das ist nur ein Aspekt eines Gottesdienstes. An manchen Tagen ist es ein Lied oder eine einzige Gebetszeile, die etwas in mir bewegen, wofür es sich schon gelohnt hat, hinzugehen.
Seit dem Umzug vor einem Jahr habe ich es leider noch nicht geschafft, in der neuen Gemeinde wieder zu einer Regelmäßigkeit im Gottesdienstbesuch zu finden. Und ich spüre, wie sehr mir das fehlt. So sehr, dass ich als Maßnahme gegen meine Bequemlichkeit überlege, mich so wie früher in verschiedenen Gemeinden, in denen ich gelebt habe, auch hier wieder aktiv bei meinem Steckenpferd Gottesdienstgestaltung einzubringen, ob als Kantor, Lektor oder sonstwie.
Ich persönlich könnte mir ehrlicherweise noch einen Glauben ohne viel Gemeindeleben vorstellen, auch wenn dadurch vieles verloren ginge. Aber ohne Gottesdienst geht es definitiv überhaupt nicht.
Aber der Papst. Und der Meisner.
Ja, der Papst. Oft rege ich mich über ihn auf. Vermutlich im Mittel sogar leidenschaftlicher als jemand, dem die katholische Kirche schnurz ist. Und auch wenn er das Oberhaupt des Ganzen ist, hat er doch erst einmal ungefähr die Auswirkung auf mein religiöses Leben wie Angela Merkel auf das Leben eines durchschnittlichen Deutschen, nämlich praktisch keine.
Maßgeblicher ist da schon, wer dein Bischof ist, welches Menschenbild er vertritt und wie er mit den Priestern und Gläubigen in seinem Verantwortungsbereich umgeht. Hier gibt es konservative Hardliner wie beispielsweise in Köln, aber auch vernünftige, gute Bischöfe wie Ludwick Schick, in dessen Diözese ich lebe. Auch die Vorsitzenden der deutschen Bischofskonferenz, wie viele Jahre lang Karl Lehmann oder nun Robert Zollitsch, erscheinen mir als gute Leute, denen Barmherzigkeit und Vertrauen in die Menschen näher zu sein scheinen als Verurteilung, Misstrauen und die Erwartung bedingungslosem Gehorsams. Es ist, wie es immer ist: Von den Guten, Vernünftigen sieht und hört man wenig, auch wenn sie die Mehrheit sind. Wen man aber immer sieht, sind Typen wie Mixa, Meisner oder Müller, die arrogant ihre Menschenfeindlichkeit und Gestrigkeit behaupten.
Ja, ich schäme mich für die unsägliche Art, wie die deutsche Bischofskonferenz die Aufarbeitung des jahrzehntelang systematisch vertuschten Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen durch katholische Geistliche unlängst ohne Not diskreditiert hat und damit den Opfern gegenüber wieder einmal demonstriert, dass ihre Lebens- und Leidensgeschichte zweitrangig sind. Selbst wenn die Zusammenarbeit mit dem Pfeiffer-Institut tatsächlich problematisch gewesen sein sollte, was ich jetzt nicht ganz ausschließen möchte, warum konnte man nicht um eben dieses ungleich größeren, wichtigeren Ziels wegen in den sauren Apfel beißen? Alles nur, weil ein paar Bischöfen ihre Mitbestimmung über Art und Weise der Aufarbeitung nicht gereicht hat. Eine Schande.
Und über das jetzt bekannt gewordene Verhalten verschiedener Krankenhäuser in Köln und Regensburg, mutmaßliche Opfer von Vergewaltigungen pauschal wegen der theoretischen Möglichkeit abzuweisen, ihnen womöglich ein Verhütungsmittel verschreiben zu müssen, brauchen wir nicht zu reden. Übrigens ist auch das kein Konsens unter den Bischöfen; unser Bamberger Bischof hat diese Praxis öffentlich kritisiert. (Daneben bin ich durchaus der Meinung, dass der Staat hier das Recht wahrnehmen sollte, auch konfessionellen Krankenhäusern Vorschriften zu machen, wenn diese für die öffentliche Versorgung staatliche Gelder in Anspruch nehmen.)
Aber nochmal, wie kannst du bei solchen Oberen in der Kirche bleiben?
So wenig ich das Verhalten und die Aussagen sogar mancher Kirchenoberen oder auch bestimmter Gruppen in der Kirche für vereinbar mit dem christlichen und katholischen Glauben halte, so wenig heißt mein Verbleiben in der Kirche, dass ich diese Ansichten selbst vertreten würde. So wie ich nicht die deutsche Staatsbürgerschaft ablege, nur weil ich die Regierung ablehne, um den hinkenden Vergleich von vorhin nochmal zu bemühen.
(Das ist übrigens ein Standardmuster von Katholikenhassern, sich erst über die angebliche Obrigkeitshörigkeit von Gläubigen zu mokieren, aber wenn man ihnen klarmacht, dass man selbst und ein großer Teil der Kirche bestimmte Lehrmeinungen wesentlich differenzierter sehen, vorzuwerfen, man sei ja gar kein richtiger Katholik.)
Die Erzkonservativen in der katholischen Kirche sind nicht die Mehrheit. Nicht in Deutschland und vermutlich auch nicht in vielen anderen Gegenden der Erde. Der Vatikan mag strotzen vor konservativen, uralten Männern, die sich nach alten Zeiten und altem Einfluss auf ihre "Herde" zurücksehnen. Aber sind sie repräsentativ für 1.181.000.000 Katholiken auf der Welt? Nein. Sie repräsentieren ja nicht einmal die Frauen.
(Und auch, wenn ich selbst gerne mal scherzhaft von "Katholiban" oder "Pietcong" spreche, im ernst gemeinten Diskurs möge man selbst konservative Christen bitte nicht immer mit Taliban gleichsetzen, einer fundamentalreligiösen Miliz, die den regionalen Drogen-, Waffen- und Menschelhandel kontrolliert und jährlich tausende Menschen tötet, sei es nur, weil sie Kinder impfen oder sich dafür einsetzen, dass Mädchen zur Schule gehen können. Wäre ganz angenehm für die Diskussionskultur. Danke.)
Was den Ausschlag gibt, sind die Gemeinden vor Ort. Und hier gab es noch keine, in der ich mich nicht hätte zuhause fühlen können. Okay, bis auf die letzte in Erlangen, aber das war ein dörflich geprägter Ortsteil, deren Bewohner sich offensichtlich in ihren nach außen hin abweisenden Traditionen eingemauert haben. Dagegen hatte auch ein Pfundskerl von einem alten, westfälischen Pfarrer nichts ausrichten können.
Vor Ort kann man evangelische Geschäftsführer bei katholischen Sozialträgern finden, oder auch bekanntermaßen Homosexuelle in leitender Position, da gibt es Pfarrer, die wiederverheiratete Geschiedene ausdrücklich willkommen heißen, da gibt es Frauen, die die Predigt halten und Pfarrer, die öffentlich den Bischof kritisieren, wie unfair er mit einem jungen Kollegen umgegangen ist, dessen Beziehung mit einer Frau öffentlich geworden war, und vieles mehr, wovon man wenig mitbekommt, wenn man außen steht und im Wesentlichen nur über überregionale Medien mit Informationen aus der katholischen Kirche versorgt wird.
Was Menschen in aller Welt teilweise unter Einsatz ihres Lebens aus ihrem Glauben heraus gegen Armut, mangelnde Bildung, Krankheit, Verfolgung und für Versöhnung leisten nicht zu vergessen.
Und was ist mit deinem Geld, den Kirchensteuern?
Während ich durchaus kritisch sehe, ob ein Staat überhaupt für eine Religionsgemeinschaft Steuern eintreiben sollte – ich könnte mir auch vorstellen, einen "Mitgliedsbeitrag" abhängig von meinem Einkommen zu zahlen, ähnlich einer Gewerkschaft - ist das erst einmal derzeit Stand der Dinge. Der Rückgang der Kirchenmitglieder und Steuereinnahmen ist unaufhörlich und dramatisch. Großstädte, die früher dutzende eigenständige Gemeinden samt Pfarrern hatten, werden zu einzelnen Pfarramtsbezirken mit einem Haupt- und zwei, drei Nebenpfarrern zusammengelegt. Die Gottesdienste werden immer weiter ausgedünnt und Menschen müssen immer weiter laufen oder fahren, um daran teilnehmen zu können, auf dem Land teilweise viele Kilometer.
Das mag in Bayern noch nicht ganz die Brisanz wie beispielsweise in NRW erreicht haben, die Entwicklung geht aber in die gleiche Richtung. Und die Finanzausstattung der Dekanate und Pfarreien ist von allen Ausgaben der Kirche vermutlich am Direktesten an die Zahl der Kirchenzugehörigen gekoppelt. Ich möchte aber nicht jedesmal nach Nürnberg fahren müssen, um in die Kirche zu gehen. Ich möchte, dass es eine Pfarrei in der Nähe gibt, wo Kinder, Jugendliche, Familien und Senioren zusammenkommen können. Wo ein Organist bezahlt werden kann, der die Messe begleitet. Wo im Winter geheizt ist. Und so weiter.
Krankenhäuser, Kindergärten, Pflegestationen und andere Einrichtungen kirchlicher Träger werden zu großen Teilen aus allgemeinen Steuern bezahlt, und ihre Zukunft hängt vermutlich weit mehr von allgemeinen gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen ab als von meinen Kirchensteuern. Aber es gibt auch andere Leistungen kirchlicher Träger, die nicht immer vom Staat mitfinanziert werden wie z. B. die Straffälligenhilfe.
Abgesehen davon beteilige ich mich nicht an Überlegungen, ob man kirchliche Träger nicht gleich ganz abschaffen sollte. Hunderttausende alleine in Deutschland, fest Angestellte plus Ehrenamtliche, leisten bei kirchlichen Trägern großartige Arbeit in allen möglichen sozialen Bereichen, aus innerer Überzeugung und geleitet von einem christlichen Menschenbild. Meist leise und ohne großes Gewese. Ich behaupte in keinster Weise, dass Nichtgläubige nicht ebenso engagiert und menschenfreundlich soziale Arbeit leisten. Aber was gut daran sein soll, existierende Strukturen und Engagement zu zerschlagen, nur weil es einzelne Punkte der Reibung gibt, konnte mir noch niemand erklären.
Und evangelisch werden?
Ich bin katholisch getauft, aufgewachsen und war immer in irgendeiner Form an katholische Gemeinden gebunden. Ich habe keine Berührungsängste zu Protestanten oder ihren Gottesdiensten (die im Großen und Ganzen, in Ablauf, Texten und Liedern sehr ähnlich bis gleich sind) und ich sehne mich danach, dass die christlichen Kirchen eines Tages wieder eine Glaubensgemeinschaft werden, auch wenn wir das nicht mehr erleben werden. Ich bin auch schon oft nach Taizé gefahren und habe die Ökumene dort genossen. Gerade bei einigen sehr "katholischen" Themen wie Marienbild oder Zölibat stehe ich vermutlich sogar vielen Protestanten näher als vielen Katholiken.
Und dennoch bin ich in der katholischen Kirche zuhause. Ich kenne mich kaum aus, was die Vielfalt der protestantischen Kirchen angeht (vermutlich stünden mir da die Lutheraner noch am nächsten). Dafür liebe ich die Globalität der katholischen Kirche. Egal ob in Duisburg, Fürth, Turin oder, sagen wir mal, Phat Diem, Vietnam, ich kann überall in die Kirche gehen und bin automatisch Teil der Gemeinde und gewissermaßen glaubensmäßig zuhause. Ich finde das großartig.
Dass die katholische Kirche meist stärkere Bilder und Rituale hat, die die Glaubensinhalte sicht- und fühlbar machen sollen, kommt meinem Wesen auch entgegen. Aber auch wenn ich mich in einer protestantischen Gemeinde vermutlich vom Glauben her einigermaßen wiederfinden könnte, frage ich mich: Warum sollte ich wechseln? Nur wegen der katholischen Amtskirche? Womit dann auch noch meine Stimme in der katholischen Kirche wegfällt? Nein, dazu habe ich weder genügend Contra-Katholizismus- noch Pro-Protestantismus-Argumente. Und ich mache mir auch keine Illusionen: auch unter Protestanten gibt es Erzkonservative.
Wer jetzt noch mehr lesen möchte, hier entlang:
Journelle: Nicht glauben können Sehr persönlich und differenziert, mit Erfahrungen aus dem christlich-konservativen Amerika.
Patschbella: Vaticinium ex eventu Eine Einordnung dessen, was die katholische Kirche bedeutet und tut, unter besonderer Berücksichtigung der bayerischen Provinz. Sehr lesenswert (und auch deutlich lockerer zu lesen als mein bierernstes Geschreibsel).
Antje Schrupp: Kleiner Versuch, den Atheismus zu verstehen Ein paar grundlegende Fragen an Atheisten, mit sehr vielen Antworten in den Kommentaren
Littlejamie: Die Gretchenrage Warum sie Religion ablehnt und warum ihr dabei nichts fehlt.
Das Nuf: Warum ich gerne auf die katholische Kirche verzichten würde legt dar, warum sie nicht findet, dass die Kirche öffentliche soziale Aufgaben wahrnehmen sollte.
Nachtrag 2. März: Jazzer: Wir sind nicht mehr Papst – ich war es nie über seine Gründe, aus der katholischen Kirche aus- und in die evangelische einzutreten.
*: Dass ich Gott hier durchweg grammatisch männlich verwende, ist gewissermaßen sprachliche Gewohnheit und bedeutet nicht, dass Gott nach meiner Vorstellung überhaupt ein differenziertes Geschlecht wie die meisten Menschen haben muss.
[giardino, Sonntag, 27. Januar 2013, 20:20] 1778
Schöne und streckenweise durchaus plausible Zusammenfassung, auch wenn ich reichlich anderer Ansicht bin. Mal abgesehen von den Missbrauchsfällen, der unterlassenen Hilfeleistungen bei dem Vergewaltigungsopfer oder unzähligen anderen Untaten: Wie kann man als aufgeklärter Mensch denken, daß ein neugeborenes Baby schuldbeladen auf die Welt kommt? Und wie kann es angehen, daß man echte Verfehlungen mit ein paar Ave Maria oder Vaterunser beiseite gewischt kriegt und alles ist wieder gut, solange der Form genüge getan wurde?
Das ist nicht als Angriff gemeint, es ist für mich das größte Rätsel an der Geschichte.
Das ist nicht als Angriff gemeint, es ist für mich das größte Rätsel an der Geschichte.
Was du ansprichst, ist die sogenannte Erbsünde (womit wir schon mal eines der gefühlt 50 Themen haben, die ich in der Einleitung erwähnte ;-). Menschen sind nach der katholischen Lehrmeinung von Grund auf erst einmal von Gott getrennt, als Erbe der Vertreibung aus dem Paradies sozusagen. Das soll keine Sünde aufgrund begangener Taten sein, sondern gewissermaßen ein Zustand, mit dem wir auf die Welt kommen. Nichts, was man im normalen Sinn als Schuld bezeichnen würde. Es ist in gewisser Weise das Komplementärbild dazu, dass die christliche Taufe nach Lehrmeinung den Menschen "zum Kind Gottes macht".
That said, ich musste das selbst nochmal im Katechismus nachschlagen (ein Buch, welches die gesamte offizielle Lehrmeinung der Kirche in einer Art Regelform zusammenfasst). In der Praxis hat mir niemand, ob in der Kirche oder im Religionsunterricht der Schule, dieses doch recht theoretische Konzept je erklärt oder auch nur darüber gesprochen oder gepredigt. Ich wage zu behaupten, dass es für den normalen Katholiken schlicht keine Rolle spielt.
Im Katechismus stehen noch sehr, sehr viele solcher theologischer Spitzfindigkeiten, die für das Leben als Katholik oft wenig relevant sind, noch in jedem Punkt von jedem akzeptiert werden würden. Für mich ist dieses Werk in großen Teilen totes Papier, es widerspricht in Summe vielem, was Jesus seinen Jüngern mitgegeben hat. Sei es, dass einzelne Menschen immer wichtiger als Regeln und Vorschriften sind, sei es, dass Glaube im buchstäblichen Sinne kinderleicht zu erfassen sein muss.
Nochmal zur Schuld generell. Die Interpretation, man könne nach Herzenslust sündigen, weil es ja die Vergebung gäbe, mag vielen Menschen verlockend erscheinen. Sie ist aber falsch. Auch dass ein paar Gebete runterzuleiern schon Buße sei, stammt aus einem veralteten, institutionalisierten Bußbetrieb, wo man die Gemeindemitglieder fließbandartig im Beichtstuhl abfertigt. Das hat früher auch zu vielen anderen Auswüchsen geführt, z. B. denen, dass wir als Kinder angefangen haben, Nichtigkeiten aufzuzählen oder uns sogar irgendwelche Verfehlungen auszudenken, damit wir in der Pflichtbeichte während der Erstkommunionsvorbereitung überhaupt was zu erzählen hatten.
Ich könnte mich sehr darüber aufregen, denn im Kern dieser Schuld-Buße-Sache steckt eine große Wahrheit: Alleine wirst du echte Schuld nicht los. Sie wird auf dir lasten und nimmt dir und deiner Umgebung die Luft. (Und auch als Opfer einer Tat wirst du dich von dem, was dir zugefügt wurde, schwerer lösen können, wenn es dir nicht gelingt, zumindest in Teilen, zumindest in deinem Innern dem Anderen zu vergeben.) Ohne Vergebung und Versöhnung gibt es keinen Neuanfang, sondern nur eine Spirale andauernder Verletzung. Wir brauchen die Vergebung, dazu müssen wir vor jemand anderem, der in dem Moment stellvertretend für Gott ist, ehrlich und von Grund auf bereuen, was wir getan haben. Einsehen, dass wir am Ende immer selbst dafür verantwortlich sind, was wir tun.
Und als Zeichen, dass man sein Leben geändert hat und in Zukunft ein besserer Mensch sein will, gibt es die Buße, die schon eine größere Leistung darstellen sollte als das Vaterunser zu wiederholen. (Dass man das Beten des zentralen Gebets aller Christen überhaupt gewissermaßen als Strafe betrachten kann, ich könnte mich aufregen!) Ich denke, jeder Mensch spürt im Grunde seines Herzens selbst, ob seine Reue ehrlich und wahrhaftig genug war, um ihn von der Last seiner Verfehlung befreien zu können.
That said, ich musste das selbst nochmal im Katechismus nachschlagen (ein Buch, welches die gesamte offizielle Lehrmeinung der Kirche in einer Art Regelform zusammenfasst). In der Praxis hat mir niemand, ob in der Kirche oder im Religionsunterricht der Schule, dieses doch recht theoretische Konzept je erklärt oder auch nur darüber gesprochen oder gepredigt. Ich wage zu behaupten, dass es für den normalen Katholiken schlicht keine Rolle spielt.
Im Katechismus stehen noch sehr, sehr viele solcher theologischer Spitzfindigkeiten, die für das Leben als Katholik oft wenig relevant sind, noch in jedem Punkt von jedem akzeptiert werden würden. Für mich ist dieses Werk in großen Teilen totes Papier, es widerspricht in Summe vielem, was Jesus seinen Jüngern mitgegeben hat. Sei es, dass einzelne Menschen immer wichtiger als Regeln und Vorschriften sind, sei es, dass Glaube im buchstäblichen Sinne kinderleicht zu erfassen sein muss.
Nochmal zur Schuld generell. Die Interpretation, man könne nach Herzenslust sündigen, weil es ja die Vergebung gäbe, mag vielen Menschen verlockend erscheinen. Sie ist aber falsch. Auch dass ein paar Gebete runterzuleiern schon Buße sei, stammt aus einem veralteten, institutionalisierten Bußbetrieb, wo man die Gemeindemitglieder fließbandartig im Beichtstuhl abfertigt. Das hat früher auch zu vielen anderen Auswüchsen geführt, z. B. denen, dass wir als Kinder angefangen haben, Nichtigkeiten aufzuzählen oder uns sogar irgendwelche Verfehlungen auszudenken, damit wir in der Pflichtbeichte während der Erstkommunionsvorbereitung überhaupt was zu erzählen hatten.
Ich könnte mich sehr darüber aufregen, denn im Kern dieser Schuld-Buße-Sache steckt eine große Wahrheit: Alleine wirst du echte Schuld nicht los. Sie wird auf dir lasten und nimmt dir und deiner Umgebung die Luft. (Und auch als Opfer einer Tat wirst du dich von dem, was dir zugefügt wurde, schwerer lösen können, wenn es dir nicht gelingt, zumindest in Teilen, zumindest in deinem Innern dem Anderen zu vergeben.) Ohne Vergebung und Versöhnung gibt es keinen Neuanfang, sondern nur eine Spirale andauernder Verletzung. Wir brauchen die Vergebung, dazu müssen wir vor jemand anderem, der in dem Moment stellvertretend für Gott ist, ehrlich und von Grund auf bereuen, was wir getan haben. Einsehen, dass wir am Ende immer selbst dafür verantwortlich sind, was wir tun.
Und als Zeichen, dass man sein Leben geändert hat und in Zukunft ein besserer Mensch sein will, gibt es die Buße, die schon eine größere Leistung darstellen sollte als das Vaterunser zu wiederholen. (Dass man das Beten des zentralen Gebets aller Christen überhaupt gewissermaßen als Strafe betrachten kann, ich könnte mich aufregen!) Ich denke, jeder Mensch spürt im Grunde seines Herzens selbst, ob seine Reue ehrlich und wahrhaftig genug war, um ihn von der Last seiner Verfehlung befreien zu können.
Vielen Dank für diese ausführliche Antwort.
„Alleine wirst du echte Schuld nicht los. Sie wird auf dir lasten und nimmt dir und deiner Umgebung die Luft. (Und auch als Opfer einer Tat wirst du dich von dem, was dir zugefügt wurde, schwerer lösen können, wenn es dir nicht gelingt, zumindest in Teilen, zumindest in deinem Innern dem Anderen zu vergeben.) Ohne Vergebung und Versöhnung gibt es keinen Neuanfang, sondern nur eine Spirale andauernder Verletzung. “
So ist es, das ist absolut richtig. Und wenn man die Sache so interpretiert, dann ist das durchaus eine snnvolle Angelegentheit. Aber was glaubst adu, wie lange es noch dauern wird, bis das unabhängig von den festgebackenen Ritualen, die dieses Argument ad adsurdum führen?
Schwierig, ich sehe da als totale Aussenseitern wenig Bewegung, geschweige denn Hoffnung auf eine Modernisierung.
„Alleine wirst du echte Schuld nicht los. Sie wird auf dir lasten und nimmt dir und deiner Umgebung die Luft. (Und auch als Opfer einer Tat wirst du dich von dem, was dir zugefügt wurde, schwerer lösen können, wenn es dir nicht gelingt, zumindest in Teilen, zumindest in deinem Innern dem Anderen zu vergeben.) Ohne Vergebung und Versöhnung gibt es keinen Neuanfang, sondern nur eine Spirale andauernder Verletzung. “
So ist es, das ist absolut richtig. Und wenn man die Sache so interpretiert, dann ist das durchaus eine snnvolle Angelegentheit. Aber was glaubst adu, wie lange es noch dauern wird, bis das unabhängig von den festgebackenen Ritualen, die dieses Argument ad adsurdum führen?
Schwierig, ich sehe da als totale Aussenseitern wenig Bewegung, geschweige denn Hoffnung auf eine Modernisierung.
kaltmamsell,
Sonntag, 27. Januar 2013, 22:09
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Danke, vielen Dank.
Danke für den Beitrag, der viele Aspekte beschreibt, die ich selbst empfinde oder auch empfunden habe. Ich bin vor vielen Jahren aus der katholischen Kirche ausgetreten (der Grund waren die berüchtigten Äußerungen von Erzbischof Dyba). Ich versuche, mein Verhältnis zu einer höheren Instanz über andere Wege zu kitten, habe aber noch nicht wieder zu einem für mich schlüssigen Konzept gefunden.
excellensa,
Montag, 28. Januar 2013, 00:58
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Danke. Es ist ein so schwieriges, vielschichtiges Thema.
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In meiner Familie ist es zum Glück so, dass man entweder mit ganzem Herzen dabei ist (katholische UND evangelische Religionslehrer, Kirchentagspilgerer, mein Vater war einige Zeit bei den Franziskanern). Oder man ist aus Überzeugung ausgetreten (oder ungetauft) - und nicht wegen der Steuer.
Aber keiner hat ein Problem mit dem, wie es der andere sieht - also so, wie es eigentlich sein sollte.
Schmunzeln musste ich jedoch über den Hinweis auf die Lutheraner: ein befreundeter reformierter Pfarrer meinte kürzlich zu mir "Bei euch sind doch die Lutheraner stark vertreten? Die sind doch fast katholischer als die Katholiken..."
Aber keiner hat ein Problem mit dem, wie es der andere sieht - also so, wie es eigentlich sein sollte.
Schmunzeln musste ich jedoch über den Hinweis auf die Lutheraner: ein befreundeter reformierter Pfarrer meinte kürzlich zu mir "Bei euch sind doch die Lutheraner stark vertreten? Die sind doch fast katholischer als die Katholiken..."
Ich muss gestehen, dass ich mir die Frage, wie Sie die ganze Thematik so sehen, schon da und dort gestellt habe. Aber die Gelegenheit, Sie direkt zu fragen, hat sich nicht so recht ergeben, und so bin ich recht dankbar, dass Sie gewissermaßen auf Bestellung von anderswo geliefert haben. Ohne jetzt ausführlich darauf rumzureiten, warum ich nach jahrelangem Karteileichendasein neuerdings auch offiziell kein Katholik mehr bin, finde ich Ihre Schilderung eigentlich recht einleuchtend. Wenn Ihnen Gottesdienst und Gemeindeleben etwas geben und Sie in diesem Rahmen auch eine persönliche Beziehung zu Gott aufbauen konnten, scheint mir das auch entscheidender als die Frage, ob man mit der allerobersten Kirchenleitung in allen Detailfragen konform geht.
So betrachtet: weitermachen! ;-)
So betrachtet: weitermachen! ;-)
Danke für diesen wunderbaren, vieles erklärenden und tiefgründigen Text. Wohltuend. Ich wünsche Dir, dass Dein Heimatgefühl Dich weiter trägt und beneide Dich fast ein wenig. In vielem, was Du schreibst, finde ich mich wieder. Auch wenn ich für mich daraus andere Konsequenzen gezogen habe. Glück auf und nochmals lieben Dank!