Eine Woche China: Shanghai (Tag 7)
Viel zu früh klingelt der Wecker, aber schon um halb acht fährt in der Nähe einer der Shuttlebusse der Firma ab, um meinen Kollegen und mich zum etwas 20 Kilometer entfernten Firmenstandort zu bringen. Auf Google Maps liegt unser Firmengebäude noch weitgehend in der Pampa, deswegen bin ich irritiert, dass wir auf dem Weg dahin quasi nur durch bebaute Stadtviertel fahren. Bis ich begreife: Der gesamte Pudong New District ist eine einzige, uferlose Neuansiedlung der vergangenen Jahre. Hier wurden und werden alle 1-2 Kilometer Trabantenstädte von Wohnhochhäusern hochgezogen, jedes Viertel in Bauweise und Fassaden jeweils gleich gestaltet, die Viertel untereinander jedoch unterschiedlich und recht vielfältig. Hunderttausende von Wohneinheiten mit vermutlich gutem Komfort, sicher auch einigermaßen teuer. Zwischendrin immer auch mal ein kleines Viertel von nur 2-3stöckigen, pseudoeuropäischen Häusern mit geneigten Ziegeldächern, Säulchen, Veranden oder sonstwie so, wie man sich einen Mix von alten europäischen Baustilen vorstellen kann. Hier dürften die Immobilien erst recht kaum mehr erschwinglich sein für normale Angestellte. Und ich frage mich, wo diese ganzen Menschen arbeiten. Wie sie dorthin kommen (denn die Straßen sind im Berufsverkehr zwar voll, aber nicht hoffnungslos verstopft, und Metros gibt es hier draußen noch nicht). Wo sie einkaufen. Wo sie sich treffen. Sitzen so viele einfach zuhause? Irgendwie passt das in meiner Vorstellung noch nicht zusammen. Immerhin ist hier der Motorroller als Verkehrsmittel schon deutlich verbreiteter als in der Innenstadt.
Mein deutscher Kollege berichtet, er sei am Sonntag auf der großen Automesse gewesen, von der inzwischen behauptet wird, sie sei zur wichtigsten der Welt aufgestiegen. Und er habe noch nie so viele Menschen gesehen. Zu den meisten, besseren Marken hätte es schon gar keinen Zutritt gegeben, es sei denn man habe eine spezielle Einladung auf den Stand gehabt.
In der Firma treffe ich erst einmal eine Menge chinesischer Kollegen, die ich schon von ihren Deutschlandbesuchen oder zumindest über Mailverkehr kannte. Die Büros sind ausschließlich Großraumbüros mit Abständen zwischen den Reihen und Plätzen, die bei einer Sicherheitsbegehung im deutschen Werk nicht durchgegangen wären. Aber es ist hell und freundlich, so wie die Leute auch, und irgendwie bin ich stolz, gemeinsam mit all diesen Kollegen zur gleichen Firma zu gehören, mit der gleichen Liebe zu den gleichen Produkten, nur eben in einem ganz anderen Teil der Welt. Übrigens haben sich viele der Kollegen westliche Vornamen zugelegt. Sie heißen James, Ella, Michelle, Eric oder Mimi, und diese Vornamen stehen auch zusätzlich zum eigentlichen auf ihren Visitenkarten. So sehr es mir natürlich das Namenmerken und das Ansprechen erleichtert, irgendwie habe ich ein schlechtes Gewissen. Würde ich mir in einer chinesischen Firma einen chinesischen Vornamen geben? Und warum können wir alle offenbar nicht lernen, wie man ihre Namen richtig spricht? So schwierig sind sie doch nicht.
Ich halte ein mehrstündiges Training, bei dem ich Kollegen vom lokalen Vertrieb und Service etwas über die bei uns gefertigten Produkte beibringe, die sie verkaufen und warten sollen. Es ist anstrengend, meine Stimme kratzt schon stark und ohne Paracetamol und Nasenspray hätte ich das wohl geschmissen. Immerhin, die Teilnehmer sind sehr zufrieden. In der Mittagspause warte ich im Foyer und mir fällt auf, wie im Atrium im ersten Stock jeweils mehrere Grüppchen von 2-3 Frauen in gleicher Richtung auf dem Gang den Lichthof mehrfach umrunden, in ein leises Gespräch vertieft und in zeitlupenhaft langsamer Gehbewegung. Am Tag zuvor schon hatte ich am People's Square ganz ähnlich Frauen gesehen, wie sie in kontinuierlich langsamem Schritt sich unterhaltend einen Weg entlang gingen. Es wirkt auf mich wie Nonnen in einem klösterlichen Kreuzgang, sehr meditativ und schön, wie eine gute Art, mittags Pause zu machen. Andere Kollegen wiederum sitzen versunken an ihren Tischen, den Kopf auf den Unterarmen und machen ein Nickerchen. Wie oft habe ich mir schon gewünscht, dass diese Sitte in Deutschland akzeptiert wäre. (seufzt)
Ich werde in ein wenige Kilometer entferntes richtiges Restaurant eingeladen. Sehr schick. Und der typische, runde Tisch steht diesmal in einem separaten kleinen Raum. Das wirkt elitär oder fast konspirativ, aber hey, wenn ich ein Geschäftsessen mit wichtigen Partnern oder Kunden hätte, so ein kleiner, eigener Raum wäre die ideale Umgebung. Aber auch so gefallen mir die chinesischen Restaurants sehr; das gemeinsame Essen in kleinen Häppchen von den gleichen Speisen auf dem großen Drehteller, und an dem runden Tisch sieht jeder jeden und ist Teil der Tischgemeinschaft und des Gesprächs; es gibt im Gegensatz zu unseren typischen, rechteckigen Tischen schlicht keinen Platz, an dem man vom Gespräch abgeschnitten sein könnte (was mir sonst leider immer mal wieder passiert). Die Kollegen – so wie schon die anderen Kollegen in Shenzhen zuvor – bestellen für mich fürsorglich Messer und Gabel mit. Aber mein Ehrgeiz mit den Stäbchen ist größer. Inzwischen kann ich sogar mit Hilfe der Stäbchen schon die kleinen, gegrillten Scampis essen, ohne die Hände fürs Abreißen des Kopfes zuhilfe nehmen zu müssen. Ha.
Das Essen dauert länger als anderthalb Stunden, ohne dass einer meiner Kollegen anfinge, unruhig auf die Uhr zu blicken; ich bin mir nicht sicher, ob das nur eine Ausnahme für mich, den Gast, ist, oder ob grundsätzlich die Büro- bzw. Pausenzeiten nicht ganz so streng gesehen werden. Wir fahren schließlich zurück zum Büro, ich schreibe noch ein paar Mails, und um viertel vor fünf fangen die allermeisten an, ihre Sachen zusammenzupacken und nach draußen zu strömen, wo die ersten Firmen-Shuttlebusse schon wieder warten, die Leute auf den jeweiligen Linien nach Hause zu bringen, meist mit einer halben bis zu anderthalb Stunden Fahrzeit. Das bedeutet auch, dass die meisten Kollegen hier von neun bis um fünf arbeiten, Montag bis Freitag. Minus Mittagspause wären das deutlich weniger Wochenarbeitsstunden als bei uns, was mich überrascht. Andererseits (ich habe vergessen, mal nachzufragen) dürften sie deutlich weniger Urlaubstage haben, insofern werden wir unter dem Strich in Deutschland sicher kaum untervorteilt sein.
Klischeebild
Die Fahrt geht zurück durch die Trabantenstädte und nach einer Dreiviertelstunde sind wir wieder im Hotel.
Ich suche mir per Google Maps einen nahegelegenen Supermarkt, um ein bisschen nach besonderen Lebensmitteln zu schauen. Es ist ein Walmart-Supercenter (was immer das auch heißen mag), und ich verbringe sicher eine ganze Stunde darin, bis ich schließlich mit ein paar Tütchen Gewürzen (Szechuanpfeffer, 5 Spices etc.), kandierten Früchten (offenbar sind getrocknete und kandierte Früchte in China Grundnahrungsmittel) und Tee hinaus in den Regen zu treten. Wenn so gar kein Englisch auf den Packungen steht, wird es eben etwas schwierig. (Erst zuhause in Deutschland stelle ich fest, dass fast alle Waren längst abgelaufen waren. Super, Walmart!) Auf dem Weg zum Hotel zurück fällt mir auf, dass die Wohnviertel in diesem Stadtteil zumeist Gated Communities sind, mit Toren und hohen Zäunen und Wachpersonal. Ist das nur Arroganz? Oder Angst? Ich hatte bislang nichts davon gehört, dass China allzu sehr unter Straßenkriminalität litte, also beispielsweise vergleichbar mit den großen amerikanischen Städten.
Im Regen beobachte ich eine Frau, die lautlos auf ihrem Elektroroller im mehrspurigen Berufsverkehr fährt, einhändig, in der anderen Hand ein Regenschirm. Ohne Helm. Und ohne Licht.
Abends hänge ich natürlich noch eine Weile am Fenster und mache ein paar sehnsuchtsvolle Fotos der blinkenden Skyline.
In der Firma treffe ich erst einmal eine Menge chinesischer Kollegen, die ich schon von ihren Deutschlandbesuchen oder zumindest über Mailverkehr kannte. Die Büros sind ausschließlich Großraumbüros mit Abständen zwischen den Reihen und Plätzen, die bei einer Sicherheitsbegehung im deutschen Werk nicht durchgegangen wären. Aber es ist hell und freundlich, so wie die Leute auch, und irgendwie bin ich stolz, gemeinsam mit all diesen Kollegen zur gleichen Firma zu gehören, mit der gleichen Liebe zu den gleichen Produkten, nur eben in einem ganz anderen Teil der Welt. Übrigens haben sich viele der Kollegen westliche Vornamen zugelegt. Sie heißen James, Ella, Michelle, Eric oder Mimi, und diese Vornamen stehen auch zusätzlich zum eigentlichen auf ihren Visitenkarten. So sehr es mir natürlich das Namenmerken und das Ansprechen erleichtert, irgendwie habe ich ein schlechtes Gewissen. Würde ich mir in einer chinesischen Firma einen chinesischen Vornamen geben? Und warum können wir alle offenbar nicht lernen, wie man ihre Namen richtig spricht? So schwierig sind sie doch nicht.
Ich halte ein mehrstündiges Training, bei dem ich Kollegen vom lokalen Vertrieb und Service etwas über die bei uns gefertigten Produkte beibringe, die sie verkaufen und warten sollen. Es ist anstrengend, meine Stimme kratzt schon stark und ohne Paracetamol und Nasenspray hätte ich das wohl geschmissen. Immerhin, die Teilnehmer sind sehr zufrieden. In der Mittagspause warte ich im Foyer und mir fällt auf, wie im Atrium im ersten Stock jeweils mehrere Grüppchen von 2-3 Frauen in gleicher Richtung auf dem Gang den Lichthof mehrfach umrunden, in ein leises Gespräch vertieft und in zeitlupenhaft langsamer Gehbewegung. Am Tag zuvor schon hatte ich am People's Square ganz ähnlich Frauen gesehen, wie sie in kontinuierlich langsamem Schritt sich unterhaltend einen Weg entlang gingen. Es wirkt auf mich wie Nonnen in einem klösterlichen Kreuzgang, sehr meditativ und schön, wie eine gute Art, mittags Pause zu machen. Andere Kollegen wiederum sitzen versunken an ihren Tischen, den Kopf auf den Unterarmen und machen ein Nickerchen. Wie oft habe ich mir schon gewünscht, dass diese Sitte in Deutschland akzeptiert wäre. (seufzt)
Ich werde in ein wenige Kilometer entferntes richtiges Restaurant eingeladen. Sehr schick. Und der typische, runde Tisch steht diesmal in einem separaten kleinen Raum. Das wirkt elitär oder fast konspirativ, aber hey, wenn ich ein Geschäftsessen mit wichtigen Partnern oder Kunden hätte, so ein kleiner, eigener Raum wäre die ideale Umgebung. Aber auch so gefallen mir die chinesischen Restaurants sehr; das gemeinsame Essen in kleinen Häppchen von den gleichen Speisen auf dem großen Drehteller, und an dem runden Tisch sieht jeder jeden und ist Teil der Tischgemeinschaft und des Gesprächs; es gibt im Gegensatz zu unseren typischen, rechteckigen Tischen schlicht keinen Platz, an dem man vom Gespräch abgeschnitten sein könnte (was mir sonst leider immer mal wieder passiert). Die Kollegen – so wie schon die anderen Kollegen in Shenzhen zuvor – bestellen für mich fürsorglich Messer und Gabel mit. Aber mein Ehrgeiz mit den Stäbchen ist größer. Inzwischen kann ich sogar mit Hilfe der Stäbchen schon die kleinen, gegrillten Scampis essen, ohne die Hände fürs Abreißen des Kopfes zuhilfe nehmen zu müssen. Ha.
Das Essen dauert länger als anderthalb Stunden, ohne dass einer meiner Kollegen anfinge, unruhig auf die Uhr zu blicken; ich bin mir nicht sicher, ob das nur eine Ausnahme für mich, den Gast, ist, oder ob grundsätzlich die Büro- bzw. Pausenzeiten nicht ganz so streng gesehen werden. Wir fahren schließlich zurück zum Büro, ich schreibe noch ein paar Mails, und um viertel vor fünf fangen die allermeisten an, ihre Sachen zusammenzupacken und nach draußen zu strömen, wo die ersten Firmen-Shuttlebusse schon wieder warten, die Leute auf den jeweiligen Linien nach Hause zu bringen, meist mit einer halben bis zu anderthalb Stunden Fahrzeit. Das bedeutet auch, dass die meisten Kollegen hier von neun bis um fünf arbeiten, Montag bis Freitag. Minus Mittagspause wären das deutlich weniger Wochenarbeitsstunden als bei uns, was mich überrascht. Andererseits (ich habe vergessen, mal nachzufragen) dürften sie deutlich weniger Urlaubstage haben, insofern werden wir unter dem Strich in Deutschland sicher kaum untervorteilt sein.
Klischeebild
Im Regen beobachte ich eine Frau, die lautlos auf ihrem Elektroroller im mehrspurigen Berufsverkehr fährt, einhändig, in der anderen Hand ein Regenschirm. Ohne Helm. Und ohne Licht.
Abends hänge ich natürlich noch eine Weile am Fenster und mache ein paar sehnsuchtsvolle Fotos der blinkenden Skyline.
[giardino, Mittwoch, 1. Mai 2013, 16:40] 1157
novemberregen,
Freitag, 3. Mai 2013, 00:05
(Permalink
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Das Foto blinkt ja bei Ihnen auch, wie klasse. Hach :-)
Mein am selben Tag geposteter neuer Büroausblick wirkt dagegen jetzt zwar außerordentlich luschig, aber macht nix. Tolle Bilder!
Mein am selben Tag geposteter neuer Büroausblick wirkt dagegen jetzt zwar außerordentlich luschig, aber macht nix. Tolle Bilder!
Danke. :-)
(Hat auch Spaß gemacht, das zum Blinken zu kriegen. Und eine vergleichsweise, eventuelle Luschigkeit liegt ja wohl kaum an Ihrem Foto, sondern voll an Shanghai bzw. Frankfurt, wenn ich das so sagen darf.)
(Hat auch Spaß gemacht, das zum Blinken zu kriegen. Und eine vergleichsweise, eventuelle Luschigkeit liegt ja wohl kaum an Ihrem Foto, sondern voll an Shanghai bzw. Frankfurt, wenn ich das so sagen darf.)