Umbrüche und wie es weiterging
Bei mir selbst lief es wie erwartet. Beim Mittagessen erzählte ich meinem Teamleiter vom Wechsel, und sowohl er als auch alle anderen Kollegen, mit denen ich darüber seitdem sprach, bedauerten zwar meinen Schritt, äußerten aber zugleich Verständnis oder fanden ihn sogar gut (also für mich). Das weitere werden jetzt eher meine Chefs regeln als ich. Wenn es nach mir ginge, würde ich ja bis Mitte März noch im jetzigen Team arbeiten und meine Aufgaben dort abschließen, hätte dann meine zwei Wochen Resturlaub von letztem Jahr um Ostern herum und startete Anfang April frisch in die neue Aufgabe...

Weitaus umwerfender aber waren die Ereignisse am Freitag für meine Möwe. Dazu muss ich etwas weiter ausholen. Ich hatte ja nur angedeutet, dass sie versucht, sich wegzubewerben. Seit Jahren übrigens, was aber angesichts der Arbeitsmarktlage in ihrem Beruf mehr als schwer ist. Besonders, wenn man qualifiziert ist, was zwar alle großartig finden, aber kaum noch jemand angemessen, sprich nach Tarif zu bezahlen bereit ist.

Im letzten Sommer stellten die Möwe und eine sehr fähige Kollegin nach Jahren fest, dass sie beide gleichermaßen unter dem nur äußerlich freundlichen, letzlich aber unnachgiebig-autoritären Führungsstil ihrer Chefin leiden, körperlich und seelisch. Fortan tauschten sie sich aus und begannen, manche Zumutungen nicht mehr widerspruchslos hinzunehmen. Irgendwann im Herbst begann die Möwe zudem auf eigene Faust mit einer mehrjährigen Weiterbildung, die auch ihr fachliches Selbstbewusstsein nochmal stärkte. Entscheidungen trafen beide nun immer öfter in eigener Verantwortung und oft genug auch gegen die Vorstellungen der Chefin. Viel runtergeschluckter Ärger aus den letzten Jahren kam an die Oberfläche und immer öfter stellten sie fest, dass sie in mancher Hinsicht manipuliert oder sogar belogen worden waren.

Die Kollegin der Möwe fand nun im Januar tatsächlich eine neue Stelle. Bei der Kündigung schüttete sie dem Geschäftsführer ihr Herz aus, der erst seit einigen Monaten dabei ist. Er war erschüttert über das Ausmaß der Probleme im Team und rückte nun damit raus, dass er schon aufgrund der ungeheuren Fluktuation von Mitarbeitern sowie anderen, finanziellen Gründen längst plane, mit Unterstützung des Vorstands die jetzige Chefin abzusä an eine andere Stelle zu loben, was nach mehreren Dienstjahrzehnten nicht einfach würde. Und er rief meine Möwe an und bat sie dringend, nicht auch noch zu gehen, sondern noch ein paar Monate auszuharren. Nun, letzten Dienstag auf einer Teamsitzung trat dann alles offen zutage; eigentlich alle Teammitglieder legten dar, wie sie in praktischen, aber vor allem persönlichen Dingen unter der Arbeit der Chefin litten, und sie musste zusehen, wie ihre Einschüchterungs- und Umdeutungsstrategien verpufften, in Anwesenheit des Geschäftsführers. Ende vom Lied war, dass sie jetzt nur noch unter enger Kontrolle von oben weitermachen darf. Wie lange sie das durchhalten würde, war aber nicht abzusehen.

Doch schon am Freitag hat sie angekündigt, Ende April eine neue Aufgabe anzunehmen und das Team zu verlassen. Ein zentnerschwerer Brocken fiel mir vom Herzen (der Möwe erst!). Doch nicht nur das, die Möwe wird, wenn nicht alles verquer läuft, nach Wunsch des Geschäftsführers die neue Leitung übernehmen. Ist das nicht großartig?

Spannend jetzt, zurückzublicken und diese Entwicklung im Nachhinein nochmal zu verfolgen. Der Wende- und Knackpunkt bei all dem war wohl, sich aus der Ohnmacht und Aussichtslosigkeit heraus wieder in eine selbstbestimmte Position zu bringen und handlungsfähig zu werden. Das, eine Verbündete und etwas Druck von außen können schon reichen, um in Jahrzehnten festgefahrene, ungute Verhältnisse am Ende zum Einsturz zu bringen. Ich finde das faszinierend.

[giardino, Montag, 18. Februar 2008, 00:51] 3294



kid37, Montag, 18. Februar 2008, 02:07   (Permalink )
Schlimme, schleichende Geschichte - es ist ja immer schwer solche eingefahrenen Macht- und Ohnmachtstrukturen zu durchbrechen. Toll dann der letzte Punkt: "eine selbstbestimmte Position". Genau dorthin sollte jeder kommen. Glückwunsch!

giardino, Montag, 18. Februar 2008, 02:24   (Permalink )
Ich wollte den Bogen oben im Beitrag nicht so weit spannen. Aber, auch wenn es weniger mit Macht, dafür selbstgewählter Ohnmacht zu tun hatte, so kam auch das Ende meiner Ehe genau in dem Augenblick ins Rollen, als mir ein Rest Trotz und Selbsterhaltungstrieb mit einem Mal sagten, dass ich mich aus meiner Lethargie befreien und wieder Herr meiner Entscheidungen werden musste. Ich glaube, man kann das wirklich nicht unterschätzen.

kid37, Montag, 18. Februar 2008, 10:36   (Permalink )
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etosha33, Montag, 18. Februar 2008, 08:30   (Permalink )
Faszinierend, ja, das finde ich auch. Und die Haare stehen mir zu Berge von der angenehmen Gänsehaut, die dein Bericht mir gemacht hat. Finde ich ganz großartig. Eine überaus wertvolle Erfahrung, dass, wenn man aufsteht und sich wehrt, dann auch etwas passiert, und man nicht am Ende wieder mal denkt, dass 'sich ja sowieso nie was ändert'. Das stellt die Weichen auf Sieg! ;)
Herzlichen Glückwunsch - Euch beiden!

monolog, Montag, 18. Februar 2008, 08:53   (Permalink )
Faszinierend (Spock).
Gut, dass Sie beide am Ende in einer Position gelandet sind, die diese Reflektion sinnvoll und möglich macht.

Mir selbst steht trotz fachlicher Kompetenz bei all dem wohl eher der Trotzkopf im Wege, der sich gern auch mal aufbrausend anlegt.

isabo, Montag, 18. Februar 2008, 09:51   (Permalink )
Oh, toll, toll, toll! Glückwünsche! Ich freu mich mit! *hüpft ein bisschen herum*

mifasola, Montag, 18. Februar 2008, 10:35   (Permalink )
Faszinierend - und ermutigend, in zweifacher Hinsicht: zum einen, weil Geduld und Durchhalten sich unter Umständen doch auszahlen, zum anderen, weil es noch fähige, mutige, anpackende Führungskräfte wie den neuen GF gibt.

lady grey, Montag, 18. Februar 2008, 16:05   (Permalink )
Oh, wie wunderbar! Dass sich doch noch alles so zum Guten wendet! Herzlichen Glückwunsch an die Möwe, Hut ab, alles Gute, Glück und Erfolg! Ich freu mich mit!

c17h19no3, Dienstag, 19. Februar 2008, 16:14   (Permalink )
herrlich. da möchte man glatt wieder an wunder glauben. vielleicht krieg ich ja auch mal eins ab. ich bin auch schon mit einem halben zufrieden. oder meinetwegen auch ein viertelwunder.

giardino, Dienstag, 19. Februar 2008, 22:50   (Permalink )
Daran geglaubt hatten wir nach Jahren auch nicht mehr, und die Alternative Jobwechsel wurde auch schon mehrmals nur um ein Haar verpasst. Ich wünsch Ihnen jedenfalls ein ganzes, man muss da nicht bescheiden sein.

haarbueschel, Donnerstag, 21. Februar 2008, 15:07   (Permalink )
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jirjen, Donnerstag, 21. Februar 2008, 17:21   (Permalink )
Ja, das kenn ich auch aus anderen Ländern:
Die Chefin versucht alle wegzumobben, eine Mitarbeiterin kommt beinahe auf eine Stelle, die fast die Vorstufe zur Kündigung ist. Dann fällt die Chefin über ihre eigene Dummheit, die Nachfolgerin ist keinen Deut besser und "sucht" auch schon nach etwas anderem.
Derweil ist die Mitarbeiterin sehr gefragt, dem früheren Oberchef ist das alles peinlich und er jammert, dass er niemand als Nachfolge hat, da die geeignete Mitarbeiterin zum einen keine Lust mehr und vor allem auch keine Zeit hat.
Tja, wie sagt der Franke: Sellerie!

Aber Gratulation in den Garten!

gabbiana, Freitag, 22. Februar 2008, 20:51   (Permalink )
Ich wollte mich dann auch mal zu Wort melden.
Erstmal vielen Dank für die Glückwünsche und den Zuspruch.

Ja, es ist wirklich faszinierend und ich bin selber immer noch völlig erstaunt über die Ereignisse, die sich innerhalb kürzester Zeit überschlugen.
Es war und ist alles kein Zuckerschlecken, ich war angespannt wie selten in meinem Leben und kam kaum zur Ruhe. Aber dieses befreiende Gefühl, endlich ich zu sein, alles auf den Tisch zu legen, zu spüren, dass man Zustimmung und Unterstützung erhält und zu merken, dass man etwas in Bewegung bringt ist einfach großartig.

Mindestens genauso fasziniered ist es im Moment allerdings auch zu sehen, wie meine Noch-Chefin mit der ganzen Sache umgeht. Unglaublich, wie man solche Scheuklappen aufhaben kann und einfach alles Mögliche ignoriert, was ja nun offengelegt wurde. Sie macht an vielen Stellen so weiter wie immer bzw. versucht sie es. Anscheinend glaubt sie auch allen Ernstes, dass sie weiterhin bestimmen kann wie es nach ihrem Weggang weitergehen wird, z.B. indem sie ohne Absprache entscheidet, wer welche Aufgaben in Zukunft übernehmen soll. Plötzlich stellt sie auch vieles als selbstverständlich hin, was sie zuvor niemals beachtet hat. Nun gut, vielleicht ist dies ihre Überlebensstrategie.
Zunächst hatte ich ja große Sorge, wie ich die letzten Monate mit ihr aushalten soll, aber mittlerweile ist mir bewusst geworden, dass es für mich kein Problem darstellt, da ich mit ihr auf rein sachlicher, inhaltlicher Ebene kommuniziere. Viel eher ist es für sie schwierig, da sie nun damit konfrontiert ist, auf einer Ebene arbeiten zu müssen, die ihrer sehr widerspricht. Letztlich ist es mir fast wurscht, mir geht es ja gut und die Zukunftsaussichten sind für mich sehr positiv. Der Geschäftsführer hat mir klar gesagt, dass er mich als Leitung sieht und haben will. Das heißt, es liegt ein Riesenberg Arbeit vor mir, denn abgesehen von der Teamentwicklung heißt es auch viele andere strukturelle und inhaltliche Veränderungen anzugehen. Das wird sicher anstrengend werden, aber ich freue mich darauf.

Wie mifasola schon schrieb ist es gut, dass es fähige, mutige und anpackende Führungskräfte gibt. Ja, das ist der Geschäftsführer tatsächlich und das, obwohl er von Anfang an mit viel Misstrauen und Widerstand zu kämpfen hatte. Jedenfalls hat er diese Sache durchdacht und für alle verträglich angegangen. Was mir besonders gut gefällt ist, dass ihm das Wohlergehen seiner Mitarbeiter wichtig ist.

Dass ich den ganzen Krampf und Kampf in den letzten Jahren und vor allem in der letzten Zeit doch recht gesund überstehen konnte habe ich zu einem ganz großen Teil signor giardino zu verdanken, der einfach großartig ist.