Eine Woche China: Shenzhen (Tag 4)
Mit dem Bus zur Messe, Frühstück am Illy-Stand. Nachdem ich nochmals chinesischen Vertriebskollegen etwas über mein Produkt erzählt habe, mache ich heute die große Konkurrenzrunde. Fotos von Konkurrenzprodukten, Broschüren sofern ich welche ergattern kann, und wenn mich die Leute auf dem Stand unausgesprochen für einen deutschen Händler halten, halte ich sie nicht davon ab. Für jemanden wie mich ist das schon ein Höhepunkt der Verschlagenheit. Egal, ich bekomme trotzdem immer noch genügend wertvolle Information.

Langsam beginnt der Messetrubel aber auch zu nerven. Angeblich sollen 100000 Besucher in den dreieinhalb Tagen hier sein, könnte hinkommen. Deswegen fahre ich mittags nach einem schnellen Essen im Food Court hinauf auf die Aussichtsplattform der Messehallen, wo sich außer mir nur eine Handvoll Leute aufhält, genieße den leichten Wind und dass der ganze Lärm plötzlich weit weg ist.

Ausblick Südseite / Nordseite
Ich weiß natürlich, dass diese Stadt wie auch Shanghai, Guangzhou und ein paar andere Boomtowns nicht repräsentativ für China ist. Aber dass es auf den Straßen hier so gut wie keine Kleinwagen gibt, nur Mittel- und Oberklasseautos vor allem aus Deutschland und Japan, ist unglaublich. Lediglich die Motorroller werden mehr, je weiter man aus den Stadtzentren in die Vorstädte kommt. Ich habe in dieser einen Woche in China mehr A8, 7er, S-Klassen, Phaetons und natürlich all die fetten SUVs deutscher Autobauer gesehen als man in einem Jahr auf deutschen Straßen zu Gesicht bekommt. Ich übertreibe nicht. Und dabei kosten sie hier noch mehr als bei uns. Zudem bewegen sich die Immobilienpreise teilweise in Höhen, gegen die München Provinzliga wäre. Wie passt das alles zusammen? Wie kann ein kommunistischer Staat eine solche soziale Ungleichheit fördern, eine solche Konsumgesellschaft hervorbringen, einen solchen Turbokapitalismus? Das geht mir nicht in den Kopf.

Eine ganze Taxiflotte ist hier mit Elektroautos ausgerüstet. Seit ein paar Jahren rückt das Thema Umweltschutz immer höher, sogar bis auf die Ebene oberster Regierungsziele. Man hat erkannt, dass die Schäden, die das irre Wachstum der vergangenen 20 Jahre hervorgebracht hat, mittlerweile die Zukunft Chinas bedrohen. Auch wenn es mit der Umsetzung vielerorts noch reichlich hapert, so fängt man doch an allen Ecken und Enden an, etwas in punkto Energiesparen und Reduktion von Emissionen zu tun. Die Elektroautos als ein Teil davon sind im allgemeinen Verkehrslärm allerdings quasi nicht zu hören, und als sei das nicht genug, sparen die Taxifahrer auch gerne noch wertvolle Kilometer-Energie dadurch, dass sie im Dunkeln kein Licht einschalten. Fantastisch. Die große Anzahl privater Elektroroller ist da natürlich keinen Deut besser.

Verkehrsmittel sind übrigens im Vergleich zu Europa extrem billig. Eine Fahrt mit Bus oder Metro kosten selten mehr als 50 Cent, und selbst eine halbstündige Taxifahrt über 40 km kommt vielleicht auf 15-20 Euro.

Abends einfallslos wieder kurz zu McDonalds, danach mache ich meinen Bericht fertig. Heute laufen die Bagger und Rüttelmaschinen vor dem Hotelfenster bis nach Mitternacht, vielleicht um das, was der viele Regen den Tag über angerichtet hat, wieder wettmachen zu können. Ich habe zwar Ohrstöpsel dabei, muss aber trotzdem am nächsten Morgen rechtzeitig aufstehen, also meinen Handywecker hören. Die Lösung: Ich ziehe mir einen Strumpf an, stelle den Wecker, schalte das Handy auf Vibration und stopfe es in den Strumpf. Funktioniert hoffentlich.
  

[giardino, Montag, 29. April 2013, 01:20] 970