Donnerstag, 2. Mai 2013
Eine Woche China: Shanghai (Tag 8)
Mein letzter Morgen in China. Ich wache auf und blicke draußen vor dem Hotel auf der gegenüberliegenden Seite der mehrspurigen Hauptverkehrsstraße auf eine Gruppe Menschen, die synchron und offenbar mit gelben Papptafeln in der Hand gemeinsam eine Choreographie aufführen, in etwa wie Tai-Chi, nur irgendwie schneller. Es ist wieder kurz nach Acht, also vielleicht etwas Ähnliches wie auf der Baustelle in Shenzhen. Nach ein paar Minuten sind sie verschwunden und ich habe leider nicht mitbekommen, ob sie ins Gebäude gegangen sind. Bei uns wäre das jedenfalls gut als Flashmob durchgegangen.
Nach dem Frühstück dauert es eine Weile, bis mich ein Taxi mitnimmt – die vorgesehene Fahrt ins Zentrum ist vielen offenbar zu kurz – und ich fahre zum ersten Kunden, wo ich mich mit zwei Kollegen treffen werde, die mich begleiten und für mich dolmetschen werden. Es geht auf die Nangpu Bridge über den Fluss (einen Eindruck, wie lang die ist, bekommt man hier), und auf der anderen Seite auf einer Hochstraße quer durch die südliche Innenstadt. Wenn die Hochhaussiedlungen am südwestlichen Stadtrand noch arrangiert und gestaltet wirken, ist hier nur noch ein chaotischer Wald von Hochhäusern. Ich dachte wirklich, das Thema hätte ich so langsam durch, aber ich bin abermals völlig erschlagen von der schieren Menge und offensichtlichen Unordnung, in der sie stehen.

Nangpu Bridge

was das ist, konnte ich leider nicht herausfinden

praktisch: Fußgängerbrücken
Nach einem netten, aber nicht allzu ergiebigen Kundenbesuch gehen wir gemeinsam mit zwei Angestellten des Kunden in ein Restaurant und bekommen einen Einzeltisch. Es gibt Frühlingsrollen, gedünsteten Fisch, gefüllte Teigtaschen, knusprig gebratene kleine Scampis, Reisbällchen mit Muscheln, frittierte Hühnerflügel, geschmortes Gemüse mit Pilzen, ... ich könnte das wirklich jeden Tag essen. Inklusive dem obligatorischen heißen Tee dazu.
Wir besuchen anschließend noch einen zweiten Kunden, ebenfalls ein entspannter Besuch, immerhin bekomme ich schon einen ganz guten Eindruck davon, in welcher Umgebung und mit welchen Prioritäten die Kunden unsere Produkte nutzen, was sie gut finden und wo sie Verbesserungen wünschen.

Ein Kollege möchte mir noch ein wenig Shanghai zeigen, so fahren wir mit dem Taxi eine ganze Weile lang ins Finanzviertel (ich hatte ihm nicht gesagt, dass ich dort schon war, aber ich fand das auch nicht schlimm, auch nochmals mit einem Einheimischen dorthin zu fahren). Im Taxi hängen wir beide unseren Gedanken nach. Ich denke daran, was für eine unfassbare Sache, dass seit 1980 praktisch kaum mehr Geschwisterkinder in China auf die Welt kommen (auch wenn es auf dem Land wohl immer schon Ausnahmen gab und in jüngster Zeit aufgrund der Nachteile in der demographischen Entwicklung die Politik generell wieder davon Abstand nimmt). Dass der Staat sich überhaupt herausnimmt, Schwangerschaften zu genehmigen. Dass infolge dieser Politik Mädchen öfter abgetrieben wurden (was der Staat wohl nur bedingt erfolgreich verbieten konnte), so dass mindestens ein Fünftel der jungen Männer ganz ohne Frau bleiben muss. Unfassbar.

Zwischen den Hochhausansammlungen finden sich überraschend kleine, niedrig bebaute Viertel mit kleinen Alleen, man fühlt sich wie in Europa. Der Kollege schenkt mir im Namen seines Teams eine kleine Tafel mit Figuren der chinesischen Oper, die eher etwas... nein, über Geschenke soll man nichts sagen. Überhaupt bin ich super betreut worden und ich konnte in dem Maß mitmachen oder für mich sein, wie es für mich gut war – für mich die ideale Form von Gastfreundschaft. Wir laufen am Flußufer entlang, sehen diesmal die alten Gebäude des Bunds auf der anderen Seite des Flusses, kaufen uns einen Kaffee bei Starbucks, und mein Kollege erzählt, wie glücklich er ist, hier in Shanghai bei unserer Firma arbeiten zu können, wo er doch eigentlich vom Land kommt, als Kind in der Landwirtschaft aufgewachsen, und es eine große Konkurrenz von jungen Leuten gibt, die von dort aus in die großen Städte drängen.
Wir verabschieden uns, ich fahre zurück zum Hotel und verbringe noch ein paar Stunden in der Hotellobby bei freiem Internet, und in der klimatisierten, zu kalten Luft spüre ich, dass sich meine Erkältung wohl nicht länger niederkämpfen lässt. Schließlich steige ich in die Metro, fahre ein paar Stationen und erfülle mir noch einen Traum, nämlich einmal mit der Magnetschnellbahn zu fahren, die von hier zum internationalen Flughafen führt. (Hier bitte die Stoiber-Rede einsetzen.) Wow, das ist cool. Auch wenn sie nur 300 statt 430 km/h fährt – die volle Geschwindigkeit gibt's nur zur Rushhour – und es draußen längst dunkel ist, ist es schon ein Erlebnis, wie schnell man beschleunigt wird. Was dann aber auch das Problem ist; die 40 km Strecke bis zum Flughafen sind nach nicht einmal 10 Minuten auch schon wieder zurückgelegt, ein sehr kurzes Erlebnis. Mit umgerechnet 5€ bei vorliegendem Flugticket aber auch sehr, sehr preiswert. Ich hätte allerdings gedacht, dass man nur von Windgeräuschen begleitet dahinschwebt, nicht dass noch so viele motorenartige Geräusche und Rumpeln dabei sind.
Einchecken, Passkontrolle (auf den Bildschirmen laufen perfekt inszenierte Imagefilme der Immigration-Behörde, die sie als Dienstleister des Passagiers porträtieren – Motto: The Power of Smile), Warten am Gate, bis wir schließlich um halb zwölf abends mit dem Flugzeug abheben, über China fliegen, die Mongolei, halb Sibirien, nördlich von Moskau, über Warschau und Breslau schließlich nach München. Diesmal bin ich richtig müde, habe keinen Sinn für Filme und schlafe deutlich mehr als beim Hinflug. Auch draußen gibt es nichts zu sehen, was das Image der vollkommenen Ödnis der Mongolei und Sibiriens irgendwie korrigieren würde. Nach dem Umstieg nach Nürnberg bin ich schließlich gegen 10 Uhr wieder zuhause und freue mich, die Möwe wieder in den Arm nehmen zu können.

Mein Fazit: Wow. Was für eine Woche. Man wird in seinem angenehm-gesättigten Grundgefühl, die Welt drehe sich um Europa, ganz schön zurechtgestutzt. Es wundert mich nicht mehr, dass deutsche Manager seit Jahren so chinafixiert sind, denn hier spielt ganz offenbar die Musik, weltwirtschaftlich gesehen, auf Produktions- wie auf Verbrauchsseite. Ich finde den Pragmatismus bewundernswert, mit dem die Chinesen diesen irren Spagat zwischen alter Kultur und Supermoderne, Staatskommunismus und Turbokapitalismus, großer Armut und großen Vermögen meistern und dabei offenbar aufgeschlossen und humorvoll bleiben. Und doch, der Einzelne gilt im Zweifelsfall nichts, auch Konsum und kleine persönliche Freiheiten sind nur geduldet, solange sie der Staatsideologie dienen, der Überwachungsstaat lastet auf dem Alltag mit seinen abertausenden privaten und staatlichen Sicherheitsleuten überall, Überwachungskameras und umfassender Kontrolle der elektronischen Kommunikation, dazu das Wissen um die Vorschriften bis in die allerprivatesten Belange hinein, den Zwangslagern und die exzessiv angewendete Todesstrafe, all das hinterlässt in Summe ein zwiespältiges Gefühl.

Ich bin schon auch wieder froh, zurück in meinem alten, vielleicht etwas verschnarchten und satten, aber freien Mitteleuropa zu sein.
  

[giardino, 12:35] Permalink (3 Kommentare) 1092



Mittwoch, 1. Mai 2013
Eine Woche China: Shanghai (Tag 7)
Viel zu früh klingelt der Wecker, aber schon um halb acht fährt in der Nähe einer der Shuttlebusse der Firma ab, um meinen Kollegen und mich zum etwas 20 Kilometer entfernten Firmenstandort zu bringen. Auf Google Maps liegt unser Firmengebäude noch weitgehend in der Pampa, deswegen bin ich irritiert, dass wir auf dem Weg dahin quasi nur durch bebaute Stadtviertel fahren. Bis ich begreife: Der gesamte Pudong New District ist eine einzige, uferlose Neuansiedlung der vergangenen Jahre. Hier wurden und werden alle 1-2 Kilometer Trabantenstädte von Wohnhochhäusern hochgezogen, jedes Viertel in Bauweise und Fassaden jeweils gleich gestaltet, die Viertel untereinander jedoch unterschiedlich und recht vielfältig. Hunderttausende von Wohneinheiten mit vermutlich gutem Komfort, sicher auch einigermaßen teuer. Zwischendrin immer auch mal ein kleines Viertel von nur 2-3stöckigen, pseudoeuropäischen Häusern mit geneigten Ziegeldächern, Säulchen, Veranden oder sonstwie so, wie man sich einen Mix von alten europäischen Baustilen vorstellen kann. Hier dürften die Immobilien erst recht kaum mehr erschwinglich sein für normale Angestellte. Und ich frage mich, wo diese ganzen Menschen arbeiten. Wie sie dorthin kommen (denn die Straßen sind im Berufsverkehr zwar voll, aber nicht hoffnungslos verstopft, und Metros gibt es hier draußen noch nicht). Wo sie einkaufen. Wo sie sich treffen. Sitzen so viele einfach zuhause? Irgendwie passt das in meiner Vorstellung noch nicht zusammen. Immerhin ist hier der Motorroller als Verkehrsmittel schon deutlich verbreiteter als in der Innenstadt.
Mein deutscher Kollege berichtet, er sei am Sonntag auf der großen Automesse gewesen, von der inzwischen behauptet wird, sie sei zur wichtigsten der Welt aufgestiegen. Und er habe noch nie so viele Menschen gesehen. Zu den meisten, besseren Marken hätte es schon gar keinen Zutritt gegeben, es sei denn man habe eine spezielle Einladung auf den Stand gehabt.

In der Firma treffe ich erst einmal eine Menge chinesischer Kollegen, die ich schon von ihren Deutschlandbesuchen oder zumindest über Mailverkehr kannte. Die Büros sind ausschließlich Großraumbüros mit Abständen zwischen den Reihen und Plätzen, die bei einer Sicherheitsbegehung im deutschen Werk nicht durchgegangen wären. Aber es ist hell und freundlich, so wie die Leute auch, und irgendwie bin ich stolz, gemeinsam mit all diesen Kollegen zur gleichen Firma zu gehören, mit der gleichen Liebe zu den gleichen Produkten, nur eben in einem ganz anderen Teil der Welt. Übrigens haben sich viele der Kollegen westliche Vornamen zugelegt. Sie heißen James, Ella, Michelle, Eric oder Mimi, und diese Vornamen stehen auch zusätzlich zum eigentlichen auf ihren Visitenkarten. So sehr es mir natürlich das Namenmerken und das Ansprechen erleichtert, irgendwie habe ich ein schlechtes Gewissen. Würde ich mir in einer chinesischen Firma einen chinesischen Vornamen geben? Und warum können wir alle offenbar nicht lernen, wie man ihre Namen richtig spricht? So schwierig sind sie doch nicht.

Ich halte ein mehrstündiges Training, bei dem ich Kollegen vom lokalen Vertrieb und Service etwas über die bei uns gefertigten Produkte beibringe, die sie verkaufen und warten sollen. Es ist anstrengend, meine Stimme kratzt schon stark und ohne Paracetamol und Nasenspray hätte ich das wohl geschmissen. Immerhin, die Teilnehmer sind sehr zufrieden. In der Mittagspause warte ich im Foyer und mir fällt auf, wie im Atrium im ersten Stock jeweils mehrere Grüppchen von 2-3 Frauen in gleicher Richtung auf dem Gang den Lichthof mehrfach umrunden, in ein leises Gespräch vertieft und in zeitlupenhaft langsamer Gehbewegung. Am Tag zuvor schon hatte ich am People's Square ganz ähnlich Frauen gesehen, wie sie in kontinuierlich langsamem Schritt sich unterhaltend einen Weg entlang gingen. Es wirkt auf mich wie Nonnen in einem klösterlichen Kreuzgang, sehr meditativ und schön, wie eine gute Art, mittags Pause zu machen. Andere Kollegen wiederum sitzen versunken an ihren Tischen, den Kopf auf den Unterarmen und machen ein Nickerchen. Wie oft habe ich mir schon gewünscht, dass diese Sitte in Deutschland akzeptiert wäre. (seufzt)

Ich werde in ein wenige Kilometer entferntes richtiges Restaurant eingeladen. Sehr schick. Und der typische, runde Tisch steht diesmal in einem separaten kleinen Raum. Das wirkt elitär oder fast konspirativ, aber hey, wenn ich ein Geschäftsessen mit wichtigen Partnern oder Kunden hätte, so ein kleiner, eigener Raum wäre die ideale Umgebung. Aber auch so gefallen mir die chinesischen Restaurants sehr; das gemeinsame Essen in kleinen Häppchen von den gleichen Speisen auf dem großen Drehteller, und an dem runden Tisch sieht jeder jeden und ist Teil der Tischgemeinschaft und des Gesprächs; es gibt im Gegensatz zu unseren typischen, rechteckigen Tischen schlicht keinen Platz, an dem man vom Gespräch abgeschnitten sein könnte (was mir sonst leider immer mal wieder passiert). Die Kollegen – so wie schon die anderen Kollegen in Shenzhen zuvor – bestellen für mich fürsorglich Messer und Gabel mit. Aber mein Ehrgeiz mit den Stäbchen ist größer. Inzwischen kann ich sogar mit Hilfe der Stäbchen schon die kleinen, gegrillten Scampis essen, ohne die Hände fürs Abreißen des Kopfes zuhilfe nehmen zu müssen. Ha.

Das Essen dauert länger als anderthalb Stunden, ohne dass einer meiner Kollegen anfinge, unruhig auf die Uhr zu blicken; ich bin mir nicht sicher, ob das nur eine Ausnahme für mich, den Gast, ist, oder ob grundsätzlich die Büro- bzw. Pausenzeiten nicht ganz so streng gesehen werden. Wir fahren schließlich zurück zum Büro, ich schreibe noch ein paar Mails, und um viertel vor fünf fangen die allermeisten an, ihre Sachen zusammenzupacken und nach draußen zu strömen, wo die ersten Firmen-Shuttlebusse schon wieder warten, die Leute auf den jeweiligen Linien nach Hause zu bringen, meist mit einer halben bis zu anderthalb Stunden Fahrzeit. Das bedeutet auch, dass die meisten Kollegen hier von neun bis um fünf arbeiten, Montag bis Freitag. Minus Mittagspause wären das deutlich weniger Wochenarbeitsstunden als bei uns, was mich überrascht. Andererseits (ich habe vergessen, mal nachzufragen) dürften sie deutlich weniger Urlaubstage haben, insofern werden wir unter dem Strich in Deutschland sicher kaum untervorteilt sein.

Klischeebild
Die Fahrt geht zurück durch die Trabantenstädte und nach einer Dreiviertelstunde sind wir wieder im Hotel.
Ich suche mir per Google Maps einen nahegelegenen Supermarkt, um ein bisschen nach besonderen Lebensmitteln zu schauen. Es ist ein Walmart-Supercenter (was immer das auch heißen mag), und ich verbringe sicher eine ganze Stunde darin, bis ich schließlich mit ein paar Tütchen Gewürzen (Szechuanpfeffer, 5 Spices etc.), kandierten Früchten (offenbar sind getrocknete und kandierte Früchte in China Grundnahrungsmittel) und Tee hinaus in den Regen zu treten. Wenn so gar kein Englisch auf den Packungen steht, wird es eben etwas schwierig. (Erst zuhause in Deutschland stelle ich fest, dass fast alle Waren längst abgelaufen waren. Super, Walmart!) Auf dem Weg zum Hotel zurück fällt mir auf, dass die Wohnviertel in diesem Stadtteil zumeist Gated Communities sind, mit Toren und hohen Zäunen und Wachpersonal. Ist das nur Arroganz? Oder Angst? Ich hatte bislang nichts davon gehört, dass China allzu sehr unter Straßenkriminalität litte, also beispielsweise vergleichbar mit den großen amerikanischen Städten.

Im Regen beobachte ich eine Frau, die lautlos auf ihrem Elektroroller im mehrspurigen Berufsverkehr fährt, einhändig, in der anderen Hand ein Regenschirm. Ohne Helm. Und ohne Licht.

Abends hänge ich natürlich noch eine Weile am Fenster und mache ein paar sehnsuchtsvolle Fotos der blinkenden Skyline.

  

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Dienstag, 30. April 2013
Eine Woche China: Shanghai (Tag 6)
Wecker ausgemacht und prompt heftig verschlafen. Egal, nach Frühstück im Hotel (diesmal gibt es auch westliches Frühstück mit Schokocroissant) mache ich mich auf, mit der Metro ins Zentrum zu fahren. Leider ist es ziemlich dunstig, es wird also nicht allzu einfach, mit meiner kleinen Kompaktknipse gute Fotos zu machen. Eine Einzelfahrt in der Shanghaier Metro für ein paar Stationen kostet 3 oder 4 RMB, das sind umgerechnet höchstens 50 Cent. Am Eingang zu den Bahnsteigen muss man an jeder Station durch eine Sicherheitsschleuse, wo das Gepäck gescannt wird. Die Wagen sind mäßig voll, es ist aber auch ein freier Tag, an dem vor allem chinesische Städtetouristen unterwegs zu sein scheinen.

Ich steige nach einmal umsteigen erst einmal mitten im Finanzdistrikt aus, zwischen Fernsehturm und den Wolkenkratzern. Darunter sind die derzeitige Nummer 4 und 12 der höchsten Gebäude der Welt, nämlich das Shanghai World Financial Center (der Flaschenöffner, knapp 500m hoch) und der Jin Mao Tower (der pagodenhafte Turm, 420 m). Der Shanghai Tower (der verdrehte mit den zerzausten Kranhaaren obenauf, geplant 632 m hoch) wird nach seiner Fertigstellung im nächsten Jahr dann das zweithöchste Gebäude der Welt sein, nach dem Burj Khalifa in Dubai.

Wahnsinn.
Einmal mit vielen vor allem chinesischen Touristen auf dem kreisförmigen Fußgängerweg rund um die große Kreuzung, dann geht es weiter mit der Metro eine Station weiter westlich, auf die andere Seite des Flusses, wo die Nanjing Lu ist, die Haupteinkaufsstraße Shanghais. Beim Auftauchen aus dem Untergrund stehe ich vor einem großen Apple-Shop, der offensichtlich heillos überlaufen ist.
Ich laufe die Nanjing Road zurück zum Flussufer (»Bund« genannt), um Pudong nochmals in der berühmten Gesamtansicht zu sehen und zu fotografieren. Nach den Tagen der Schwüle tut es richtig gut, dass hier vielleicht nur 13, 14 Grad herrschen. Nur der Wind ist unangenehm feucht und kalt.
Zurück dorthin, wo ich hergekommen war und die stark belebte Straße noch weiter, über den Century-Platz bis zum People Square, einer Park-Oase mitten im Zentrum, wo es neben Grünflächen, Bäumen und Bänken auch ein paar kleine Fahrgeschäfte für Kinder gibt. Zwei Frauen und ein Mann bitten mich, ein Foto von ihnen zu machen. Eine der jungen Frauen kommt mit mir auf Englisch ins Gespräch, wo ich herkäme, sagt dann sogar Guten Tag und Wie geht es Ihnen auf Deutsch, sie seien aus der Provinz in der Nähe und als Ausflug in Shanghai. Was ich denn hier täte, ob ich das erste mal in China und Shanghai sei usw. Sehr nettes Gespräch. Am Ende fordert sie mich auf, doch mit ihnen zu irgendeiner Tee-Zeremonie-Demonstration zu kommen, die nur einmal im Jahr stattfinde. Dauerte auch nur 20 Minuten. Ich verneine freundlich (was ich mehrere Male tun muss und mir schwerfällt, ihr kennt meine Schwierigkeiten, nein zu sagen), denn schließlich habe ich noch einen Tag Arbeit am Rechner vor mir.
Ich streife ein wenig weiter durch den Park, und bereits am Ausgang am anderen Ende werde ich von zwei jungen Frauen gefragt, ob ich sie fotografieren würde, dann ein ähnliches Gespräch mit einer der beiden, sehr nett, und am Schluss versucht sie auch, mich zum Besuch dieser Teezeremonie zu überreden, zu der ihre Freundin und sie jetzt gehen würden, schließlich gäbe es das nur heute. Und nur 20 Minuten! Ich verneine wieder vielmals und fahre schließlich mit der Metro zurück zum Hotel, schließlich ist schon der Nachmittag angebrochen und ich muss auch noch eine Kleinigkeit essen (McDonalds, natürlich). Zunächst lege ich die beiden Begegnungen unter der Rubrik die Leute sind sehr offen und freundlich und kommen gerne mit Fremden ins Gespräch ab. Erst im Nachhinein, je länger ich darüber nachdenke, waren die Treffen zu gleichförmig und teilweise bis ins Detail gleich formuliert, als dass ich wirklich noch daran glaube, dass das nicht Leute auf gezieltem Touristenfang waren.

Zurück im Hotel lasse ich mir im einigermaßen luxuriösen Zimmer ein Bad ein, K's Choice läuft leise auf dem Handy, und ich entspanne mich wunderbar. Schließlich ist es vier Uhr, als ich mich an den Rechner setze und arbeite, und es macht sogar richtig Spaß, so dass ich erst irgendwann vor Mitternacht den Bildschirm zuklappe. Zwischendurch laufe ich immer mal wieder ans Fenster und fotografiere die Skyline in allen Schattierungen des Abendlichts, diesmal auch zur anderen Seite hin, Richtung Finanzdistrikt und den Hochhäusern, vor denen ich am Vormittag noch stand. Blöd nur, dass mir der Klimawechsel wohl nicht ganz so gut getan hat, ich spüre wie langsam eine Erkältung aufzieht. Zwischendurch lese ich auch mal ein bisschen meine Timeline auf Twitter. Dass das nur geht, weil ich eine VPN-Verbindung in unser Firmennetz in Deutschland habe, ist allerdings bedrückend. Twitter, Youtube, Facebook, all das und vermutlich noch viel mehr an Quellen und Netzwerken lässt sich von China aus nicht aufrufen.
(auch in größer)
  

[giardino, 22:15] Permalink (1 Kommentar) 1697



Dienstag, 30. April 2013
Eine Woche China: Reisetag (Tag 5)
Die Handyweckersache hat super funktioniert, und mit den Ohrstöpseln habe ich gut geschlafen. Das Wetter hat etwas gedreht, die Dauerdunstglocke ist jetzt von ein paar blauen Löchern durchsetzt und es weht ein kräftiger Wind vom Meer her, man kann die leicht salzige Luft sogar riechen.

Gut, dass hier vieles auch auf Englisch steht. (Lieblingsschild)
Ein letztes Mal zur Messe (samt Frühstück dort), ich hatte eine Sache vergessen zu recherchieren. Auf dem Rückweg kaufe ich in der Fashion Mall des Viertels (so steht es draußen am Gebäude; gottseidank ist ja doch einiges immer auch noch auf Englisch beschildert) zwei kurzärmelige Hemden. Wer jetzt ein Kaufhaus mit ein paar großen Geschäften erwartet, liegt falsch. Stattdessen ergibt sich ausgehend vom Atrium mit den Rolltreppen im 1. Stock ein Gewirr von schmalen Gängen mit unzähligen Kleinstgeschäften, alle nur so 3-4 Meter breit und tief, von denen die allermeisten nur Mode für Frauen anbieten, weswegen ich eine Weile durch die Gänge laufe, bis ich finde, was ich suche. In Deutschland reicht mir Größe L, ich kaufe daher lieber gleich mal XL (was sich später immer noch fast als zu eng erweist).
Mit dem Taxi zum Flughafen um nach Shanghai zu fliegen, wo ich Anfang der Woche in unserer Niederlassung nochmal ein paar Vertriebskollegen schulen soll sowie Kunden besuchen will. Das Boarding beginnt erst mit über zwei Stunden Verspätung und selbst danach stehen wir noch ewig mit dem Flugzeug am Gate rum. Es ist drückend heiß und ich bin froh über mein kurzes Hemd. Um die Zeit zu überbrücken, spielt schon mal das Bordprogramm einen Film: ParaNorman, eine verschroben-schöne Stop-Motion-Animation über einen Jungen, der von ständigen Visionen und Besuchen verstorbener Verwandter genervt wird (englisch mit chinesischen Untertiteln). Großartig! Mittendrin klappen die Monitore vor dem Start ein, wir fliegen los, die Monitore klappen irgendwann wieder aus, und: Ein anderer Film. Gnaa! Robot & Frank, eine Komödie über einen älteren Herrn (ein paar Jahre in der Zukunft), der von seinem Sohn einen Hausroboter gestellt bekommt, der verhindern soll, dass sein Vater immer weiter abbaut. Der denkt aber gar nicht daran, sondern... aber seht ihn euch selbst an. Aber verratet bitte nicht das Ende, denn auch dieser unterhaltsame Film wird nach drei Viertel seiner Zeit wieder zurückgeklappt, bevor wir in Shanghai landen. Grrrr!

Wieder eine lange Fahrt im Dunkeln vom Flughafen ins Hotel nahe dem Stadtzentrum, wieder mit offenen Augen und Kinnlade die riesige Stadt und ihre Lichter bestaunt. Im Hotel ist auch ein Kollege untergebracht; wir trinken noch gemeinsam in der Lobby ein Bier. Genieße vor dem Schlafen noch eine Weile die erste Aussicht aus meinem Hotelfenster im 20. Stock.
Morgen würde die einzige Gelegenheit für ein bisschen Besichtigungen sein (ich liebe es, alleine nur mit Kamera durch eine neue Stadt zu streifen). Andererseits würde ich aber auch mindestens 6 Stunden in Deutschland liegen gebliebene Aufgaben abarbeiten müssen. Ich stelle den Sockenwecker auf früh.
  

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Montag, 29. April 2013
Eine Woche China: Shenzhen (Tag 4)
Mit dem Bus zur Messe, Frühstück am Illy-Stand. Nachdem ich nochmals chinesischen Vertriebskollegen etwas über mein Produkt erzählt habe, mache ich heute die große Konkurrenzrunde. Fotos von Konkurrenzprodukten, Broschüren sofern ich welche ergattern kann, und wenn mich die Leute auf dem Stand unausgesprochen für einen deutschen Händler halten, halte ich sie nicht davon ab. Für jemanden wie mich ist das schon ein Höhepunkt der Verschlagenheit. Egal, ich bekomme trotzdem immer noch genügend wertvolle Information.

Langsam beginnt der Messetrubel aber auch zu nerven. Angeblich sollen 100000 Besucher in den dreieinhalb Tagen hier sein, könnte hinkommen. Deswegen fahre ich mittags nach einem schnellen Essen im Food Court hinauf auf die Aussichtsplattform der Messehallen, wo sich außer mir nur eine Handvoll Leute aufhält, genieße den leichten Wind und dass der ganze Lärm plötzlich weit weg ist.

Ausblick Südseite / Nordseite
Ich weiß natürlich, dass diese Stadt wie auch Shanghai, Guangzhou und ein paar andere Boomtowns nicht repräsentativ für China ist. Aber dass es auf den Straßen hier so gut wie keine Kleinwagen gibt, nur Mittel- und Oberklasseautos vor allem aus Deutschland und Japan, ist unglaublich. Lediglich die Motorroller werden mehr, je weiter man aus den Stadtzentren in die Vorstädte kommt. Ich habe in dieser einen Woche in China mehr A8, 7er, S-Klassen, Phaetons und natürlich all die fetten SUVs deutscher Autobauer gesehen als man in einem Jahr auf deutschen Straßen zu Gesicht bekommt. Ich übertreibe nicht. Und dabei kosten sie hier noch mehr als bei uns. Zudem bewegen sich die Immobilienpreise teilweise in Höhen, gegen die München Provinzliga wäre. Wie passt das alles zusammen? Wie kann ein kommunistischer Staat eine solche soziale Ungleichheit fördern, eine solche Konsumgesellschaft hervorbringen, einen solchen Turbokapitalismus? Das geht mir nicht in den Kopf.

Eine ganze Taxiflotte ist hier mit Elektroautos ausgerüstet. Seit ein paar Jahren rückt das Thema Umweltschutz immer höher, sogar bis auf die Ebene oberster Regierungsziele. Man hat erkannt, dass die Schäden, die das irre Wachstum der vergangenen 20 Jahre hervorgebracht hat, mittlerweile die Zukunft Chinas bedrohen. Auch wenn es mit der Umsetzung vielerorts noch reichlich hapert, so fängt man doch an allen Ecken und Enden an, etwas in punkto Energiesparen und Reduktion von Emissionen zu tun. Die Elektroautos als ein Teil davon sind im allgemeinen Verkehrslärm allerdings quasi nicht zu hören, und als sei das nicht genug, sparen die Taxifahrer auch gerne noch wertvolle Kilometer-Energie dadurch, dass sie im Dunkeln kein Licht einschalten. Fantastisch. Die große Anzahl privater Elektroroller ist da natürlich keinen Deut besser.

Verkehrsmittel sind übrigens im Vergleich zu Europa extrem billig. Eine Fahrt mit Bus oder Metro kosten selten mehr als 50 Cent, und selbst eine halbstündige Taxifahrt über 40 km kommt vielleicht auf 15-20 Euro.

Abends einfallslos wieder kurz zu McDonalds, danach mache ich meinen Bericht fertig. Heute laufen die Bagger und Rüttelmaschinen vor dem Hotelfenster bis nach Mitternacht, vielleicht um das, was der viele Regen den Tag über angerichtet hat, wieder wettmachen zu können. Ich habe zwar Ohrstöpsel dabei, muss aber trotzdem am nächsten Morgen rechtzeitig aufstehen, also meinen Handywecker hören. Die Lösung: Ich ziehe mir einen Strumpf an, stelle den Wecker, schalte das Handy auf Vibration und stopfe es in den Strumpf. Funktioniert hoffentlich.
  

[giardino, 01:20] Permalink (0 Kommentare) 927



Sonntag, 28. April 2013
Eine Woche China: Shenzhen (Tag 3)
Ich wache auf, draußen ist es bedeckt.
Im Bus ist es nur voll, aber am Messezentrum brechend voll. Ich hatte am Vortag einen Illy-Stand auf der Messe entdeckt; der Espresso hätte in einer echten italienischen Bar kaum besser sein können. Nachdem ich auf das chinesische Hotelfrühstück ohnehin gut verzichten konnte, war klar, dass das mein Frühstück für die kommenden Tage sein würde, mit einem Becher Cappuccino und Donut dazu. Dass beides zusammen mit 50 RMB (ca. 6,25 €) soviel kostete wie anderswo zwei Mittagessen, war mein täglicher kleiner Luxus.

Was mir in Shenzhen auffällt (und was in Shanghai nicht anders sein würde): Jeder scheint hier ein Smartphone zu haben, und zwar zuallermeist eines der neuesten Galaxys oder Iphones. Und alle scheinen auf Schritt und Tritt damit zu texten. Dazu gibt es eine Art Schreibfläche im unteren Bereich des Displays, auf der mit dem Finger Schriftzeichen gekrakelt werden. Das Handy schlägt schon während der Eingabe ein paar wahrscheinlich gemeinte Zeichen vor, von denen man das richtige per Fingertip auswählt. Ältere, herkömmliche Handys habe ich nicht einmal gesehen. Und mit jeder meine ich nicht nur uns Businesskasper auf der Messe, sondern ganz normale, auch nicht so gut situierte Leute allen möglichen Alters auf der Straße.

Mittags gehen wir diesmal außerhalb des Messezentrums in ein kleines Lokal, in dem angeblich "Hongkong Style" gekocht wird. Auch ohne den Unterschied zu kennen, schmecken das Rindfleisch mit dem Gemüse und dem Reis hervorragend. Benutze weiterhin krampfhaft (!) die Stäbchen. Habe den Eindruck, schon besser zu werden.
Diese Messe ist deutlich bunter und lauter als alles, was ich bisher kannte, und auch unsere eigenen Firmenvideos, die auf dem Screen am Stand laufen, sehen deutlich anders und, ähm, kreativer aus als das, was unsere Corporate Communication Guideline sonst so vorgibt. Zwei verschiedenen Ständen hatten die Idee, das Interesse an ihren technischen Produkten mit weiblichen Models zu steigern, die jeweils alle 1-2 Stunden auf einer kleinen Bühne in sehr kurzen Kleidern mit elektrischen Violinen zu irre lauter Playbackmusik so taten, als würden sie fideln. Ich weiß nicht, ob dadurch letztlich mehr oder bessere Interessenten geworben wurden, jedenfalls entstand immer eine riesige Menschentraube mit auf die Fake-Violinistinnen gerichteten Smartphones.

Draußen ist es noch schwüler als am Tag zuvor, 26 Grad, und zwischendurch regnet es sogar leicht, woraufhin vor dem Messezentrum wie aus dem Nichts lauter Verkäufer und Verkäuferinnen von Regenschirmen auftauchen. Wo viel Publikumsverkehr herrscht, ob auf der Straße oder drinnen auf der Messe, gibt es sowieso ständig Leute, die einem etwas anbieten. Drinnen vor allem Broschüren, draußen eben Regenschirme, oder Messeausweise, oder Fahrten mit unregistrierten Taxis, oder... Ich bin sehr erleichtert, dass ein freundliches, leichtes Kopfschütteln in fast allen Fällen ausreicht, um nicht weiter behelligt zu werden.

Messeende
Den Abend möchte ich ganz gerne ohne Kollegen verbringen und muss zudem auch ein paar Mails aus Deutschland beantworten, so schließe ich mich den Kollegen diesmal nicht an, die schon wieder gemeinsam essen gehen wollen. Stattdessen versorge ich mich aus praktischen Überlegungen im nächstgelegenen McDonalds. Ein Big-Mac-Menü kostet hier 27 RMB (keine 3,50 €). Und hier gibt es McDonalds-Fahrradkuriere! Rot gekleidet, roter Fahrradhelm, quadratischer Kasten auf dem Rücken, fahren sie im Viertel telefonische Bestellungen aus. Auch noch nicht gesehen. Ich arbeite noch etwas am Rechner und schlafe später im Handumdrehen ein.
  

[giardino, 01:46] Permalink (0 Kommentare) 921



Mittwoch, 24. April 2013
Eine Woche China: Shenzhen (Tag 2)
Dienstag

Auf der Großbaustelle neben dem Hotel wird nicht nur bis zehn Uhr abends mit schwerem Gerät im flüssigen Schlamm gewühlt, sondern auch schon wieder ab sechs Uhr früh. Vermutlich kann man glücklich sein, dass sie nachts für ein paar Stunden aufhören. Gottseidank bin ich morgens aufgrund der sechsstündigen Zeitverschiebung noch so müde, dass ich erst gegen viertel vor acht vom Wecker aufwache. Um 8 werden die mit Parolenbannern versehenen Wohncontainer der Bauarbeiter mit rhythmischem Text beschallt, was wie ein morgendliches Fitnessprogramm klingt, aber offensichtlich niemanden von seiner eigentlichen Arbeit abhält.
Ich verzichte auf das Hotelfrühstück (dünner Kaffee, irgendwelche Fleisch- und Suppengerichte) und fahre direkt zur Messe, wo sehr, sehr viele Menschen vor einem sehr großen Messezentrum für ihre Messeausweise anstehen.

Auf dem Stand lerne ich erst einmal viele chinesische Kollegen kennen, die ich bislang nur aus E-Mails kannte, und treffe auch ein paar weitere Kollegen von zuhause, die die Messe besuchen, nicht zu vergessen unseren Geschäftsführer. Meine Kollegen haben die Präsentation meines Produkts auf dem Stand schon gut im Griff, und ich könnte mangels Chinesisch auch nicht sonderlich helfen, so mache ich eine erste eigene Runde. Unglaublich laut, bunt und überlaufen, und sehr viele weitere Messehallen außer der unseren, die ich noch gar nicht besichtige. Mittagessen im "Food Court" der Messehalle; für gerade mal umgerechnet 2,50 Euro gibt es Reis mit gebratenem Schweinefleisch und Gemüse und ein Getränk. Nichts Dolles, aber wir werden satt.

Am Nachmittag weiteres, noch zielloses Rumlaufen, wo ich mir schon ein paar geistige Bookmarks für Stände mit Produktkonkurrenz setze. Es ist drinnen schon drückend trotz Klimatisierung; sobald man aber nach draußen kommt, bricht bei 25 Grad und 100% Luftfeuchte endgültig der Schweiß aus. Ich stelle fest, zuviele Anzüge und zuwenig kurzärmelige Hemden mitgenommen zu haben.

Abends, als es schon dunkel ist, gehen wir gemeinsam mit deutschen und chinesischen Kollegen in ein Fischrestaurant, das heißt wir fahren wieder lange Taxi dorthin.
Das Bier (Marke Tsingtao) lässt sich überraschend gut trinken und das laut der Kollegen kantonesisch geprägte Essen ist lecker. Okay, da sind auch ein paar knorpelige Sachen dabei, auch irgendwelche Teigbällchen, die nach Mist riechen und die ich nicht probiere, aber sonst ist alles fein, Fisch, Muscheln, Krabben, Fleisch und Gemüse, und wir unterhalten uns gut.
Was mich aus dem Konzept bringt, ist dass die Kellner ständig Getränke in erst halbleere Gläser nachschütten. Gerade bei Alkohol behalte ich ganz gerne die Übersicht. Und wenn man ihnen deutet, bitte jetzt nichts nachzuschenken, muss man sie wieder explizit bitten, das komplett leere Glas wieder aufzufüllen. Nervig. (Und ich bin etwas mehr angeschickert als geplant. Hicks.)
  

[giardino, 22:22] Permalink (4 Kommentare) 1167



Eine Woche China: Shenzhen (Tag 1)
Montag

Nach einem ganzen Arbeitstag am Montag abends für eine Stunde nach Hause und anschließend gleich zum Flughafen. Einer meiner besten Freunde aus Studientagen und zudem China-erfahrener Kollege fliegt auch und wird mir in den nächsten zwei Tagen geduldig ein wenig die praktischen Dinge wie Reisen, Taxifahren, Essen bestellen usw. näherbringen, worüber ich ganz froh bin, denn China ist mit Abstand das fremdeste und entfernteste Reiseziel, was ich bislang hatte.

In München kurz vor Mitternacht Abflug nach Hongkong, 11 Stunden Flug, Economy. Ich schlafe schlecht, um nicht zu sagen praktisch gar nicht. Positiv gesehen komme ich endlich dazu, im Bordprogramm noch nicht gesehene Filme nachzuholen. Skyfall zum Beispiel (schlechter als erwartet, trotz vieler ironischer Elemente – beknackte Story, und der Typ homosexuell angehauchter, vermutlich irgendwie französisch wirken sollender Bösewichte mit Julian-Assange-Gedächtnisfrisuren ermüdet mich mittlerweile), den Hobbit (besser als befürchtet, trotz Überlänge und reichlich Actiongewirbel – irgendwie wie ein Wiedersehen mit alten Freunden plus ein paar neuen) und Oh Boy (trotz wenig Handlung netter und gut gespielter Loser-Film, wäre was fürs zdf.neo-Spätprogramm).

Der Flug geht über das schwarze und das kaspische Meer, den Aralsee – wieviel Strecke das ist, wieviel endloses Land. Über der tibetischen Hochebene öffne ich das Rollo und sehe über hunderte Kilometer nur auf trockene, unbewohnte (und vermutlich ebenso unbewohnbare) Berglandschaften. Eine erste Ahnung von der unfassbaren Größe Chinas.
Im Dunkeln kommt die Stewardess mit gefüllten Getränkebechern vorbei, ich nehme ein Wasser und wecke meinen Nachbarn, indem ich mit dem Unterarm einen Becher Orangensaft mitnehme und über ihn schütte. Wie peinlich! Doch er bleibt total entspannt, tupft ein wenig rum und meint freundlich, halb so wild, seiner Hose wäre das eh schon egal und macht wieder die Augen zu. Wow.

Dienstag nachmittag Ortszeit kommen wir in Hongkong an. Wir bleiben am Flughafen, von wo aus man direkt mit der Fähre nach Shenzhen fahren kann, unserem Ziel. Man muss sogar nicht einmal das Gepäck aus- und wieder einchecken, man gibt sein Gepäck-Tag einfach am Fährschalter ab und bekommt den Koffer später nach Ankunft mit dem Boot auf dem Festland. Auf dem Flughafen Hongkong erstmals Menschen mit Atemmasken gesehen, wie man sie aus den Nachrichten kennt. Angesichts der vor kurzem erst aufgetretenen neuen Form der Vogelgrippe in Shanghai jedoch viel weniger als erwartet, was später auch in Shanghai selbst so sein sollte.

Die chinesische Passkontrolle ist easy, jedenfalls reibungsloser als der amerikanische immigration check. Am Schalter wie auch schon in Hongkong Hinweise auf eine aktuelle Einfuhrbeschränkung für irgendein Pulver. Erst ein paar Tage später begriffen, dass es um Milchpulver geht; nachdem es in China unlängst einen Skandal mit verunreinigtem Milchpulver gab, scheinen findige Händler derzeit alle Bestände in Europa aufzukaufen, um sie teuer in China zu verticken, wo man europäischen Produkten wohl mehr vertraut.

Es ist warm und die Luft sehr feucht. Wir stehen über eine halbe Stunde am Taxistand Schlange, schließlich im frühen Abenddunkel im Fahrtwind der runtergelassenen Fenster die erste Fahrt durch eine fremde Welt und den leicht chaotischen Verkehr mit viel Gehupe. Eine halbe Stunde fahren wir quer durch die Stadt zwischen unzähligen Hochhäusern, die ein wenig schicker und nicht ganz so verdichtet daherkommen wie die Wohnsilos Hongkongs. (Fotobandempfehlung am Rande: Michael Wolf, Architecture of Density)

Shenzhen (sprich: Schenschenn, mit weichem sch in der Mitte wie im Wort Garage) ist eine der irrwitzig explodierten Städte Chinas. Vor dreißig Jahren lebten im Fischerörtchen samt Landkreis rund 30.000 Menschen. Dann beschloss man, eine Sonderwirtschaftszone zu errichten, vor allem wegen der direkten Nachbarschaft zum Wirtschaftsriesen Hongkong, und heute leben hier mehr als 10 Millionen Menschen. Vor allem die Elektronikindustrie mit Konzernen wie Huawei und Foxconn hat sich angesiedelt und man kann mit Sicherheit behaupten, dass wir alle irgendwelche Gegenstände besitzen, in denen hier produzierte Bauteile stecken. Von ganzen Produkten, die hier produziert werden (für Apple beispielsweise) ganz abgesehen.

Im Hotel angekommen essen wir im kleinen Restaurant zu Abend, ich nehme Bandnudeln mit Ingwer und Rindfleisch. Eigentlich mein erstes echtes Essen mit Stäbchen (meine wenigen, jämmerlichen Versuche in chinesischen Restaurants in Deutschland zähle ich mal nicht). Klappt. Anschließend ziehe ich in der Bank gegenüber chinesisches Bargeld.

In der Hotellobby steht ein Automat, der anbietet, was man so braucht - z. B. Zigaretten, Schokoriegel, einen Rasierer. Oder doch lieber eine Tüte Hühnerfüße zum Knabbern?
Ich schaue noch eine Weile aus meinem Hotelfenster im 16. Stock, bevor ich mich hinlege.
 

[giardino, 15:00] Permalink (0 Kommentare) 1180